Studieren mit Stipendium: Morgens Studentin, abends Politikerin
- Julia Fietz

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Kimi Schlüter und Viola Gebek haben sich zuerst kaum für Politik interessiert. Inzwischen sind sie Stipendiaten parteinaher Stiftungen – und engagieren sich in Kommunalparlamenten.
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Ein Einserabitur kann helfen, aber oft zählen noch andere Qualitäten: Wer ein Stipendium anstrebt, sollte sich die Profile der unterschiedlichen Förderwerke genau ansehen. In dieser Serie stellen wir Stipendiaten verschiedener Stiftungen vor.
Wer sich für ein Stipendium der Heinrich-Böll-Stiftung bewirbt, muss kein Mitglied der Grünen sein. Gleiches gilt für die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Viele der Stipendiaten engagieren sich trotzdem in einer der beiden Parteien. Kimberly Schlüter ist eine von ihnen. Sie sitzt für die Grünen im Stadtparlament von Mörfelden-Walldorf und im Kreistag Groß-Gerau. Viola Gebek von der FDP gehört dem Flörsheimer Stadtparlament an. Schlüter hat Soziologie in Mainz studiert, Gebek studiert Sustainable Marketing and Leadership in Wiesbaden. Beide haben sich früher kaum für Politik interessiert. Heute diskutieren sie über Kitaplätze oder müssen sich im Parlament gegen altgediente Parteikollegen durchsetzen.
Gebek sagt von sich, sie erfülle nicht das FDP-Klischee vom Kind aus vermögendem, liberal geprägtem Hause. Ihren Weg zur Partei habe sie über deren Werte wie Offenheit, Diversität und das Recht auf freie Entfaltung gefunden. Neben dem, was Gebek an Werten mit der FDP verbindet, steht noch das, was sie im Leistungskurs Geschichte gelernt hat. "Mir ist dadurch bewusst geworden, wie wichtig es ist, freiheitliche Demokratien zu schützen." Die Studentin fühlt sich mehr als Europäerin denn als Deutsche, spricht Französisch und hat Freunde auf dem ganzen Kontinent.
Politik, vor allem Lokalpolitik, war ihr lange größtenteils egal. "Ich wusste gar nicht, wie man sich vor Ort engagieren kann", sagt Gebek. Mit Beginn der Pandemie fängt sie an, sich mehr mit ihrem Verhältnis zur Politik auseinanderzusetzen. Bei den Jungen Liberalen habe sie sich am besten wiedergefunden, sagt die Studentin. Ihr Stipendium von der Friedrich-Naumann-Stiftung ermöglichte es ihr, das Masterstudium an der privaten Hochschule Fresenius in Wiesbaden zu beginnen. Die Stiftung fördert aktuell rund 1100 Studierende und Promovierende.
"Irgendwie fand ich Parteien immer ein bisschen unsexy", sagt Kimberly Schlüter, genannt Kimi. Sie definiert sich als nichtbinär, mit ihrem Einverständnis sollen hier aber die weiblichen Pronomen verwendet werden. Schlüter, 22 Jahre alt, wohnt mit ihrem Partner zusammen. Die Heinrich-Böll-Stiftung fördert sie seit 2018. Jährlich unterstützt das Förderwerk rund 1400 Studierende und Promovierende.
"Dass ich überhaupt verstanden habe, was Politik bedeutet, hat bis zur zehnten Klasse gedauert. Da habe ich angefangen, Zeitung zu lesen und mich für Literatur zu begeistern. Literatur hat mich echt politisiert", sagt Schlüter. Sie kann sich in Rage reden, wenn sie von Romanen erzählt, die ihr im Gedächtnis geblieben sind. Insbesondere, wenn es sich um Schicksale von Frauen handelt, die an gesellschaftlichen Zwängen zugrunde gehen. Ihr sei klar geworden, dass es auch heute keine Chancengleichheit, keine Teilhabemöglichkeiten für alle gebe. "Das will ich ändern."
Zur ersten Bewerbungsphase bei den vom Bundesbildungsministerium geförderten Stiftungen gehören in der Regel ein Onlinebewerbungsbogen und ein Motivationsschreiben. So auch bei der Friedrich-Naumann-Stiftung. Sie habe darin erklären müssen, was der Begriff Freiheit für sie bedeute, berichtet Gebek. Ihre Definition lässt die Liberale in ihr erkennen. Individuelle Entfaltung sei das Wichtigste, hebt die Jungpolitikerin hervor. "Meine Stärken, meine Leidenschaften ausleben und alle Möglichkeiten haben. Aber ich muss auch etwas dafür tun, mich engagieren, dafür eintreten. Europa gehört auch dazu, also ein Europa mit offenen Grenzen."
Arbeit als Hobby
Die nächste Bewerbungsphase ist ein Gespräch mit drei bis vier Vertretern des Auswahlausschusses der Stiftung. Vier Monate danach lag die Zusage in Gebeks Briefkasten. Auf der Einführungsveranstaltung traf sie weniger in Parteien engagierte Stipendiaten, als sie erwartet hätte. Stattdessen lernte sie Menschen aus allen möglichen Fachbereichen von Jura bis Musik kennen – eine Vielfalt, über die sie sich sehr freut.
Bei Kimi Schlüter sah es in der Oberstufe zunächst so aus, als würde sie kein Abitur machen können. Depressionen und Angstzustände führten dazu, dass sie die Schule abbrach. "Alles, was in der Zukunft lag, war total abstrakt. Ich hatte zu der Zeit viel mit der Vergangenheit und der Gegenwart zu kämpfen. Und das alles zusammen war irgendwann einfach zu viel." Ein halbes Jahr lang arbeitete Schlüter in einem Fast-Food-Laden. Diese Zeit tat ihr gut, sie fühlte sich wieder mehr im Gleichgewicht.
Das Abitur konnte sie an einer anderen Schule nachholen. Aus einer Laune heraus beschloss sie, sich bei der Böll-Stiftung zu bewerben. Das Motivationsschreiben sowie ihr Engagement in der Schule als Kurssprecherin und bei "Schule ohne Rassismus" brachten sie eine Runde weiter. Im Auswahlworkshop folgte auf Gruppendiskussionen ein Gespräch mit Vertretern der Stiftung. Schlüter legte darin ihre Überzeugungen dar, die sie bis heute in ihrer politischen Arbeit prägen, wie sie sagt: "Gendergerechtigkeit, Empowerment, Antirassismus, Chancengleichheit und Teilhabe." Mit der Grünen Jugend hatte Schlüter in dieser Zeit immer wieder zu tun. Eingetreten ist sie aber erst vor zwei Jahren, als vor der Kommunalwahl noch Listenplätze besetzt werden mussten.
Auch Viola Gebek engagiert sich in ihrer Stadt als Sozialpolitikerin. Ihre Fraktion hat nur drei Mitglieder. "Jeder macht ein bisschen alles. Auch wenn es zeitraubend ist, sehe ich die Arbeit als mein Hobby neben dem Studium an." Schwierig sei die Politik vor allem dann, wenn die Menschen dahinter so sehr in ihren Parteien festgefahren seien, dass kaum neue Ideen eine Chance hätten. "Aber wir stellen tapfer weiter Anträge und Anfragen." Die Ansätze von Schlüter und Gebek mögen unterschiedlich sein, aber in einem stimmen beide überein: Sie wollen Veränderung.
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