Unterhalt für Kinder: Wann muss ich meine Eltern auf Unterhalt verklagen?
- Nathanael Häfner

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Viele junge Leute verzichten auf Geld von ihren Eltern, obwohl es ihnen zusteht. Wer seinen Unterhalt einfordert, sollte erst reden. Und im Notfall vor Gericht ziehen.

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Monatelang haben sie ausgeharrt, bald soll es so weit sein: Mehr als drei Millionen Studierende und Fachschüler können dann 200 Euro Hilfe beantragen. Corona-Krise und Inflation haben junge Menschen hart getroffen. Jeder Vierte unter 25 Jahren ist in Deutschland von Armut bedroht. Während ihrer beruflichen Ausbildung sollten junge Menschen zwar vor allem lernen. Doch nicht alle Eltern unterstützen ihre Kinder in der Ausbildung. Fast drei von vier Studierenden arbeiten daher.
Bis zur ersten abgeschlossenen Ausbildung steht auch erwachsenen Kindern Unterhalt zu. In voller Höhe nimmt den nicht jeder in Anspruch. "Studierende jobben lieber noch nebenbei, anstatt ihren rechtmäßigen Unterhalt einzufordern", sagt Mike Pillardy, Sozialberater für das Studierendenwerk der Universität Kassel. Dabei lohnt es sich, auf dem eigenen Recht zu bestehen: Junge Erwachsene in Ausbildung kommen an Geld, das ihnen zusteht, und schaffen im besten Fall Augenhöhe mit ihren Eltern. Weniger Geldsorgen heißt außerdem mehr Lebensqualität. Studien zeigen: Wer arm ist, leidet bis zu dreimal so häufig an Depressionen im Vergleich zu Wohlhabenden. Doch auf sein Recht zu beharren, kann belasten: In manchen Fällen kann es sogar nötig sein, die eigenen Eltern zu verklagen. Das müssen junge Menschen über ihre Unterhaltsansprüche wissen.
Alle Fragen im Überblick:
Wie viel Unterhalt steht mir zu?
Steht mir wegen der Inflation mehr Unterhalt zu?
Ich bekomme zu wenig Unterhalt. Was mache ich nun?
Wie konfrontiere ich meine Eltern wegen des Unterhalts?
Was passiert mit meinem Unterhalt, wenn ich nebenbei arbeite?
Ich studiere lange oder mit Unterbrechungen, steht mir Unterhalt zu?
Wie viel Unterhalt steht mir zu?
Die Düsseldorfer Tabelle regelt, wie viel Unterhalt Eltern ihren volljährigen Kindern in Ausbildung zahlen sollten. Sie ist kein Gesetz, in der Regel orientieren sich Oberlandesgerichte aber daran. Die Tabelle richtet sich nach dem Nettoeinkommen beider Elternteile. Verdienen die Eltern zusammen weniger als 1.900 Euro netto, gibt es 628 Euro Unterhalt. Bei mehr als 9.500 Euro Nettoeinkommen der Eltern stehen dem unterhaltspflichtigen Kind 1.256 Euro zu, der Höchstsatz. Der Regelsatz für studierende Kinder, die nicht mehr zu Hause wohnen, beträgt 930 Euro. Wohnt das Kind noch bei den Eltern, reduziert sich der Unterhalt um Geld für Essen und Wohnen. Auch Kindergeld reduziert den Satz in der Düsseldorfer Tabelle, ändert netto aber nichts für das Kind. Das Kindergeld in Höhe von 250 Euro müssen Eltern üblicherweise vollständig an ihr Kind weitergeben. Behalten Eltern das Kindergeld ein, können Betroffene einen Abzweigungsantrag bei der Kindergeldkasse stellen. Dadurch landet das Kindergeld direkt auf ihrem Konto.
Steht mir wegen der Inflation mehr Unterhalt zu?
Im Gegenteil. Da sich die Düsseldorfer Tabelle nach dem Nettoeinkommen der Eltern richtet, verringert sich sogar in manchen Fällen der Unterhaltsanspruch durch die Inflation. Die Sätze in der Tabelle steigen immerhin jedes Jahr. Ansonsten ist die Einmalzahlung über 200 Euro dazu gedacht, Studierende und Fachschüler von der Inflation zu entlasten. In jedem Fall sollte man den Eltern klar mitteilen, wie man von steigenden Energiekosten und Lebensmittelpreisen persönlich betroffen ist und warum das Geld nicht mehr reicht. Wenn das nicht zu mehr Hilfen führt, könnte ein Konflikt entstehen.
Ich bekomme zu wenig Unterhalt. Was mache ich nun?
Reden hilft. Auch wenn das Verhältnis belastet ist, spielt der Dialog eine wichtige Rolle. "Eine Faustregel aus der Praxis lautet: Wenn die Kinder mit ihren Eltern in Kontakt sind, fließt mehr und regelmäßig Geld", sagt Josef Linsler, Pressesprecher vom Interessenverband Unterhalt und Familienrecht (ISUV). Nicht immer besteht aber ein guter Draht zu den Eltern.
Wenn Reden nicht zu mehr Unterhalt führt, lohnt ein Antrag auf Förderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (Bafög). Die Formulare sind kompliziert, ausfüllen lohnt sich aber. Für die Ausbildungsförderung erhalten junge Leute bis zu 934 Euro Höchstsatz monatlich. Zugleich überprüft ein Antrag, wie viel die Eltern verdienen. Das Bafög-Amt verlangt schließlich Nachweise. Übersteigt das Elterngehalt den Freibetrag von 2.415 Euro, verringert sich der Anspruch auf Ausbildungsförderung. Damit lassen sich zumindest die Verhältnisse klären: Wie viel verdienen die Eltern? Wie viel Unterhalt könnten sie sich leisten? Selbst wenn die Eltern ihren Kindern nicht sagen wollen, was sie verdienen, müssen sie dem Bafög-Amt Auskunft erteilen. Wer wenig oder gar keinen Anspruch auf Bafög hat, muss Unterhalt von seinen Eltern kriegen. Umgekehrt müssen die Eltern keinen Unterhalt bezahlen, wenn Kinder in Ausbildung den vollen Bafög-Satz beziehen. Im Vergleich zum Unterhalt ist die staatliche Förderung aber ein Darlehen: Wer sie bezogen hat, muss sie nach der Ausbildung zumindest teilweise zurückzahlen.
Wie konfrontiere ich meine Eltern wegen des Unterhalts?
In den meisten Fällen sind die erwachsenen Kinder noch von ihren Eltern abhängig. Das bedeutet, es besteht ein Machtgefälle. Es drückt sich auch dadurch aus, dass Eltern jederzeit aufhören könnten, Geld zu schicken. Zumal nicht allen Eltern ein Studium einleuchtet. "Manche Eltern begreifen Studieren als leichten Zeitvertreib. Tatsächlich hat die Belastung seit den Bologna-Reformen 1999 stark zugenommen", sagt Studienberater Mike Pillardy. Studieren sei ein Vollzeitjob. "Niemand würde im Beruf sagen, arbeite doch noch etwas nebenbei", sagt Pillardy. Wer das seinen Eltern klarmacht, hat schon etwas erreicht. Bei Pillardys Arbeit erzählen viele Studierende von Vätern, die vom letzten Hemd sprechen und scheinbar nichts mehr entbehren könnten. Sie setzen auf Emotionen und große Gestik. Dagegen helfen Fakten. "Gegenüber den Eltern sollten Studierende ihre Ausgaben offenlegen. Beispiel: Meine Miete beträgt 400 Euro, meine Krankenkasse kostet 120 Euro. Handy, Internet und Rundfunkbeitrag kosten 30 Euro. Ich habe weniger als 700 Euro im Monat zur Verfügung. Wie soll ich davon leben, geschweige denn etwas sparen, um den Semesterbeitrag zu bezahlen?"
Nach Pillardys Erfahrung sind Eltern mit höheren Einkommen nicht unbedingt spendabler. "Arbeiterfamilien sind manchmal sogar großzügiger als wohlhabende Familien. Zum Beispiel wenn die Großmutter noch etwas dazulegt, weil sie so stolz auf das erste Akademikerkind in der Familie ist."
Wer hilft mir?
Jugendämter beraten und unterstützen volljährige Kinder noch bis zum 21. Lebensjahr. Die Universitäten sowie das Studierendenwerk haben Sozialberatungen, die meist eine wöchentlich kostenfreie Sprechstunde anbieten. Dabei handelt es sich in der Regel nicht um Rechtsberatung, sie können aber mit ihrer Erfahrung die Lage beurteilen. Befindet man sich in einem Unterhaltsstreit nach Trennung oder Scheidung, berät der Interessenverband ISUV. Hier sind bundesweit etwa 5.000 Ehrenamtliche tätig. Als ISUV-Mitglied gibt es eine schriftliche Rechtsberatung, zudem kostenlose Infoveranstaltungen, online und präsent.
Was passiert mit meinem Unterhalt, wenn ich nebenbei arbeite?
Das kommt auf das Gehalt an. Ein Ferien- oder Minijob bis zu 520 Euro beeinträchtigt den Unterhalt nicht oder nur zum Teil. Wer mehr arbeitet, hat womöglich keinen Anspruch mehr auf Unterhalt. Es ist eine persönliche Abwägung: Will ich unabhängiger sein, belaste ich mich dadurch zeitlich und mindere meinen Unterhalt. Was konkret passiert, wenn jemand mehr verdient, als ihm oder ihr nach Düsseldorfer Tabelle an Unterhalt zustünde, zeigt ein Rechenbeispiel: Eine Studentin wohnt in einer WG und erhält 400 Euro von ihren Eltern, sowie 250 Euro Kindergeld. Das macht Einnahmen von 650 Euro, ihr stünden allerdings 930 Euro zu. Sie bekommt also 280 Euro zu wenig.
Nun arbeitet die Studentin im Getränkemarkt für 520 Euro, sodass sie bei 1.170 Euro Einnahmen monatlich landet. Ihr Anspruch beträgt aber nur 930 Euro. Müssen die Eltern jetzt weniger Unterhalt zahlen? Ja, falls sie nachweislich nicht mehr Zahlungen leisten können. Die Rechnung ist aber etwas umständlich. Vom Nebenjobgehalt werden 100 Euro nicht angerechnet als berufsbedingte Aufwendungen. Von den übrigen 420 Euro Gehalt füllen 280 Euro die Lücke zum Anspruch auf 930 Euro, auch diese 280 Euro sind also anrechnungsfrei. Übrig bleiben 140 Euro, die nach Billigkeit angerechnet werden, also zur Hälfte. In dem Beispiel müssen die Eltern 70 Euro weniger Unterhalt zahlen, die Studentin landet also bei 1.100 Euro.
Was ist mit meinem Vermögen?
Die Rechtsprechung ist hier eindeutig: Ein volljähriges studierendes Kind muss sein Vermögen gemäß einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Zweibrücken "sukzessive" aufbrauchen, also seinen Lebensbedarf aus seinem Vermögen decken. Nur ein Notgroschen in Höhe von etwa 5.000 Euro ist gestattet. Mit einem größeren Vermögen erlischt jedoch der Anspruch auf Unterhalt.
Ich studiere lange oder mit Unterbrechungen, steht mir Unterhalt zu?
Geld gibt es nur für die erste Berufsausbildung. Das kann eine betriebliche Ausbildung oder ein Bachelor- sowie Masterstudium sein. Der Gesetzgeber verlangt, diese zielstrebig und inhaltlich zusammenhängend zu verfolgen. Rechtsanwältin Antje Pulinckx-Maurer ist auf Familienrecht und Unterhalt spezialisiert. Nach ihrer Erfahrung sind zwei Zusatzsemester an der Universität vertretbar, zumal sich während der Pandemie vielerorts die Regelstudienzeit erhöht hat. Aber: "Jeder Fall ist einzeln zu betrachten. Eine pauschale Bewertung ist daher schwer", sagt Pulinckx-Maurer. Kindern in Ausbildung kann auch nach dem 25. Geburtstag noch Unterhalt zustehen, die Pflicht endet nicht mit dem Kindergeld.
Wann sollte man seine Eltern verklagen?
Wenn das Geld nicht reicht und alle anderen Optionen erschöpft sind, könnte das der letzte Ausweg sein. Unterhaltsstreitigkeiten landen immer wieder vor Gericht. "Wenn Kinder ihre Eltern auf Unterhalt verklagen, war das Verhältnis zwischen ihnen oft schon in der Kindheit zerrüttet", sagt Josef Linsler vom Verband ISUV. Linsler rät Kindern aber, wenn möglich, den Kontakt zu den Eltern aufrechtzuerhalten und alle anderen Mittel und Wege auszuschöpfen. Nach der Klage gebe es meist kein Zurück mehr. "Eine Maximalforderung durchzuklagen belastet alle Beteiligten", sagt Linsler. Allerdings gibt es auch Fälle, in denen Eltern einseitig den Kontakt abgebrochen oder ihre Kinder psychisch und körperlich geschädigt haben. Das kann eine Klage leichter machen.
Wie läuft die Klage ab?
Rechtsberatung muss nichts kosten. "Mit einem Beratungshilfeschein, den man bei den Gerichten erhält, können Unterhaltsberechtigte kostenlos prüfen lassen, ob ein Verfahren gegen den Unterhaltspflichtigen Erfolg hätte", sagt Rechtsanwältin Pulinckx-Maurer. Der Schein steht nur einkommensschwachen Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung, also auch Studierenden, die ohne Unterhalt armutsgefährdet sind. Die Beratung gilt nur einmalig. Die Rechtsprechung sieht vor, dass volljährige Kinder in Ausbildung einen Prozesskostenvorschuss erhalten, weil sie noch nicht für sich sorgen können.
Auch nach der Beratung ist es üblich, dass die eigene Anwältin versucht, sich außergerichtlich zu einigen. "Unterhaltsverfahren sind bei vielen Anwälten nicht beliebt. Sie sind sehr arbeitsintensiv und der geringe Streitwert bedeutet für Anwälte auch eine geringe Vergütung", sagt Familienrechtlerin Pulinckx-Maurer. Vor allem sei es viel Arbeit, die Eltern dazu zu bringen, dass sie ihre Einkommensnachweise präsentieren. Bei klaren Fällen kann dann aber schnell Geld fließen für volljährige Kinder. "Mit einem einstweiligen Anordnungsverfahren, einem sogenannten Eilverfahren, kann eine gerichtliche Entscheidung schneller erwirkt werden. Die Hauptverfahren können sich dagegen über Monate hinziehen", sagt Pulinckx-Maurer.