Wolfgang Lauterbach: "Wer reich werden will, sollte aggressiv sein"

Autor*innen
Lea De Gregorio
Eine Hand greift nach den Geldmünzen

Der Vermögensforscher Wolfgang Lauterbach weiß, ab wann man wirklich reich ist – und wie man es dahin schaffen kann. Er sagt, das liege oft an Persönlichkeitsmerkmalen.

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Der Soziologe Wolfgang Lauterbach hat das Verhalten und die Persönlichkeitsmerkmale reicher Menschen erforscht. Er weiß, worauf es ankommt, wenn man reich werden will – und weshalb viele Menschen daran scheitern, so viel Geld zu haben, dass sie nicht mehr arbeiten müssen.

 Herr Lauterbach, wie wird man reich?

Wenn die Frage einfach zu beantworten wäre, wäre ich reich und Sie wahrscheinlich auch. Aber das lässt sich nicht so einfach sagen. Denn es gibt gesellschaftliche Umstände und Faktoren, die man beachten muss, wenn man reich werden will. Bevor wir darüber reden, wie man reich werden kann, sollten wir erst mal klären, was Reichtum überhaupt ist.

Sie selbst haben einmal in einem Interview gesagt, reich ist, wer nicht arbeiten muss.

Ja. So kann man es sagen. Man ist reich, wenn man seinen Alltag frei gestalten kann und sich den Dingen widmen kann, mit denen man sich beschäftigen möchte.

Wer weniger als 1.450 Euro im Monat hat, lebt in Deutschland in Armut.
Wolfgang Lauterbach

Hängt Reichtum also nicht vom Einkommen ab?

Im Reichtums- und Armutsbericht der Bundesregierung wird alle vier Jahre definiert, welcher Haushalt arm ist, wer in der Mitte der Gesellschaft liegt und wer zu den Wohlhabenden und Reichen zählt. Das mittlere Nettoeinkommen in Deutschland beträgt demnach ungefähr 2.900 Euro, gemessen am Medianeinkommen. Wer weniger als 1.450 Euro im Monat hat, lebt in Deutschland demnach in Armut. Und wer knapp über den 1.450 Euro liegt, ist armutsgefährdet.

Und wer zählt dann zu den Reichen?

Wenn jemand doppelt so viel hat wie ein Mensch aus der Mittelschicht, ist er noch nicht reich, sondern wohlhabend. Das ist ein Begriff, der in Deutschland selten verwendet wird, aber er sollte viel stärker berücksichtigt werden. Wobei es auch hier nicht darum geht, eine bestimmte Summe festzulegen. Wohlhabend sind zum Beispiel Ärztinnen und Ärzte oder ein Lehrerehepaar, wenn beide verbeamtet sind. Diese Menschen verfügen über mehr, als man für einen mittleren Lebensstandard braucht, aber sind nicht reich.

Weil man arm werden kann, sobald man nicht mehr arbeiten kann?

Genau – wer einmal wohlhabend war, kann arm werden oder zumindest abrutschen. Man kann also am Einkommen nicht wirklich erkennen, ob ein Mensch reich ist.

Und wenn man doch einen Wert festlegen will?

Grob sagt man, dass jemand reich ist, wenn er das Dreifache des Durchschnittseinkommens verdient. Aber nach oben gibt es keine Grenze. Sinnvoller ist es, sich auf das Vermögen zu beziehen. Wer von seinem Privatvermögen leben kann, wer nicht arbeiten muss, kann als reich bezeichnet werden. Das gilt auch für Personen, die "nur" drei Millionen Euro erben. Das Geld kann geschickt angelegt werden, um zum Beispiel eine Monatsrente von 2.000 Euro zu erzielen. Davon kann er leben, nur nicht wie ein superreicher Mensch. Jedenfalls nicht so, wie wir "reich" im Alltag verstehen.

Es ist absoluter Luxus, wenn man nicht mehr arbeiten muss.
Wolfgang Lauterbach

Aber nach Ihrem Verständnis schon?

Ich finde es einen absoluten Luxus, wenn jemand nicht mehr arbeiten muss. Das ist meiner Ansicht nach schon ein besonderer Reichtum. Aber dieser Reichtum im unteren einstelligen Millionenbereich beschreibt nicht die Personen und Familien, die über ein Vermögen im oberen zweistelligen Millionenbereich oder sogar noch mehr verfügen.

Ist es denn immer erstrebenswert, gar nicht zu arbeiten?

Viele Menschen werden krank, wenn sie nicht mehr arbeiten können, weil ihnen dann der Sinn im Leben fehlt. Ich habe ja nicht gesagt, dass Menschen, die reich sind, nicht arbeiten. Aber Reiche müssen nicht arbeiten. Sie können sich dem widmen, was sie wollen, was sie für sinnvoll erachten. Sie arbeiten, was sie wollen, oder engagieren sich sozial. Das ist ein Privileg, das nur sehr wenige haben.

"Reiche Menschen arbeiten meistens weiter"

Wie viele Reiche gibt es in Deutschland, die praktisch nie gearbeitet haben? 

Das ist schwer zu sagen. In Deutschland leben nach der Forbes-Liste von 2023 ungefähr 107 Milliardäre und 2,7 Millionen Millionäre. Aber die meisten reichen Menschen, die wir für unsere Forschung interviewt haben, sind erwerbstätig. Denn Arbeit ist für viele Menschen sehr sinnstiftend. Teilhabe geschieht eben auch durch Arbeit. Darum arbeiten die meisten reichen Menschen auch. Auch dann, wenn sie nicht müssen. 

Sie haben reiche Menschen bei Ihrer Studie auch gefragt, ob sie ihr Geld spenden oder sich für die Gesellschaft engagieren. Ist das nicht auch sinnstiftend?

Ja, für viele Reiche ist es wichtig, sich zu engagieren oder zu spenden. Wie viele Reiche philanthropisch handeln, ist aber schwer zu sagen.

Reiche sind zu 99,5 Prozent Unternehmer.
Wolfgang Lauterbach

Und wie sind reiche Menschen in Ihrer Studie für Deutschland denn nun reich geworden?

Bei unserem Forschungsprojekt haben wir erfragt, wie Menschen reich geworden sind, ob durch Erben, Heirat oder Arbeit. Es gibt auch reiche Schauspielerinnen. Aber wir haben festgestellt, dass diejenigen, die in Deutschland durch ihre eigene Karriere reich geworden sind und mehr als 50 Millionen Euro Vermögen besitzen, zu 99,5 Prozent Unternehmer sind. 

Inwiefern entscheidet neben der eigenen Karriere auch das Elternhaus über Reichtum und Wohlstand?

Wenn wir über Erben nachdenken, ist das Elternhaus natürlich entscheidend. Der Großteil des heutigen Vermögens der Menschen wurde in den Fünfziger-, Sechziger- und Siebzigerjahren erarbeitet und wurde vererbt. Das sind teils Menschen, die nach dem Krieg mit der Pferdekutsche angefangen und später große Speditionen aufgebaut haben. Und deren Kinder und Enkelkinder profitieren heute noch davon und sind meistens reich, ohne etwas dafür tun zu müssen.

In Deutschland wird man also vorwiegend reich, wenn man erbt. Wie ist das in anderen Ländern?

Das ist beispielsweise in den USA anders. Dort werden mehr Menschen reich, indem sie etwa ein Start-up gründen. Und man denkt dort sehr viel globaler. Hier in Deutschland gibt es viele alte, eingesessene Firmen – gute Firmen, die dann vom Sohn oder von der Tochter übernommen werden.

Früher vor allem vom Sohn. Inwiefern ist das Geschlecht beim Erben heute noch entscheidend? 

Aus alten Befunden lässt sich sagen, dass Frauen früher vor allem durch Heirat reich geworden sind. Heute gelingt es ihnen häufiger, durch Arbeit reich zu werden, weil sie dieselben Bildungschancen haben wie Männer. Bis zum 20. Lebensjahr unterscheiden sich die Lebensläufe von Frauen und Männern wenig. Frauen haben ja mittlerweile das bessere Abitur als Männer.

Frauen haben es schwerer, reich zu werden.
Wolfgang Lauterbach

Was ändert sich nach dem Eintritt in den Arbeitsmarkt?

Viele Frauen haben vergleichbare Karrieren wie Männer – bis zur Geburt des ersten Kindes. Danach unterscheiden sich die Erwerbsverläufe oft stark: Sie beginnen nur in Teilzeit zu arbeiten und haben oft nur einen Minijob. Und wenn eine Scheidung ansteht, wird es schwierig, weil die Karriere oft abbricht, bevor sie überhaupt richtig begonnen hat. Das liegt daran, dass unser System so familienorientiert ist. Wenn ein Mann verheiratet ist und eine Frau hat, die weniger als er arbeitet, profitiert er. Dann bekommt er mehr Geld, als wenn er nicht verheiratet wäre. Er wird steuerlich besser gestellt. Kurzum: Frauen haben es schwerer, wohlhabend oder auch reich zu werden, als Männer.

"Frauen und Männer müssten völlig gleichgestellt sein"

Was müsste passieren, damit sich das ändert? 

Frauen und Männer müssten unabhängig davon, ob sie Mütter oder Väter sind, völlig gleichgestellt sein. Sowohl steuerlich als auch im Alltag. Das heißt, dass etwa Care-Arbeit anders organisiert sein müsste. Minijobs müssten abgeschafft werden, da vor allem Frauen in diesen Jobs tätig sind und sie kaum zum Wiedereintritt in eine Vollzeitkarriere dienen. Aber wir reden derzeit nur über Einkommen und Wohlstand und nicht über Vermögensungleichheit.

Lässt sich insgesamt also gut vorhersagen, wer in unserer Gesellschaft reich wird und wer nicht?

Nein, das kann man nicht vorhersagen, das ist schwer. Wenn es so einfach wäre, könnten viele Menschen das steuern. Aber ein paar Aspekte können schon benannt werden, die es erleichtern, aufzusteigen. Reich werden diejenigen, die sich selbstständig machen und ein Unternehmen gründen, wie wir in unseren Veröffentlichungen zeigen konnten. Angestellte werden höchstens wohlhabend, aber nicht reich. Menschen, die reich werden, sind häufig gut ausgebildet und haben studiert. Es geht darum, Dinge abschätzen zu können. Menschen, die Risiken eingehen, haben insgesamt bessere Chancen, reich zu werden.

Die Risikobereitschaft ist nur ein Merkmal, das viele reiche Menschen haben.
Wolfgang Lauterbach

Haben Sie hierfür ein Beispiel?

Nach dem Mauerfall konnte man in Potsdam sehr günstig Häuser kaufen. Diejenigen, die das Risiko eingegangen sind, sind heute vermutlich Millionäre. Aber unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass die Risikobereitschaft nur eines von mehreren Persönlichkeitsmerkmalen ist, die viele reiche Menschen haben.

Welche gehören noch dazu?

Wenn man reiche Personen mittleren Alters fragt und ihre Antworten mit denen vergleicht, die nicht reich geworden sind, wird deutlich, dass die Reichgewordenen sehr viel stärker von sich selbst überzeugt sind. Man sollte extrovertiert sein, wenn man reich werden will. Und man sollte aggressiv sein. Ich finde es nicht immer negativ, wenn jemand aggressiv ist. Das heißt, dass man sich durchsetzen kann. Man sollte eine Idee haben, überzeugt davon sein, dass man sie umsetzen kann, und das einfach tun.

Und alle anderen werden nicht reich?

Schüchterne Menschen werden deutlich seltener reich. Ebenso wie Personen, die an sich und der Welt zweifeln.

Ist das nicht ungerecht?

Nein. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Das heißt: Durch Leistung kann ich reich werden. Und reich wird eben der, der sich anstrengt. Persönlichkeitsmerkmale haben einen Einfluss, aber sind nicht alleine entscheidend. Und Geld und Vermögen haben eine Funktion in der Gesellschaft.

Geld sorgt dafür, dass viele Menschen sich überhaupt erst anstrengen.
Wolfgang Lauterbach

Welche?

Geld sorgt dafür, dass viele Menschen sich überhaupt erst anstrengen, das zeigen Studien. Und wenn man sich bemüht, kann man in meinen Augen ruhig auch reich werden. Aber wenn man eine Firma an seine Kinder oder Enkel vererbt, ist das leistungslos erworbenes Vermögen. Das kann als ungerecht betrachtet werden, wenn die Firma verkauft wird. Warum sollte ein Enkel oder eine Enkelin von dem Vermögen profitieren, das der Großvater aufgebaut hat? Sie haben dafür nichts getan.

"Auch reiche Menschen haben Sorgen"

Müsste man Reichtum dann nicht anders verteilen?

Es wird bereits umverteilt, vor allem mit der Steuergesetzgebung wird ein sozialer Ausgleich geschaffen. Und das ist gut so. Zum Beispiel, um Jugendliche zu fördern oder Geflüchtete zu integrieren.

Und wie viele von ihnen werden am Ende reich?

Vielleicht wird es auch der ein oder andere schaffen. Aber das kann man nicht sagen.

Dass Reichtum verpflichtet, wird oft nur gesagt, um Reichtum zu legitimieren.
Wolfgang Lauterbach

Sie sagten, dass Reichtum zu Freiheit führt. Im deutschen Grundgesetz steht: Eigentum verpflichtet. Führt Reichtum auch zu mehr Verantwortung?

Die Aussage stammt aus der christlichen Tradition. Darin steckt der Aufruf zum Engagement: Jemand hat mehr als andere und damit auch die Pflicht, sich darum zu kümmern, es zu erhalten und anderen zugänglich zu machen. Das ist in der Wertevorstellung vieler Bürgerinnen enthalten. Der Ausspruch wird aber auch geäußert, um Reichtum zu legitimieren.

Von wem?

Wenn zum Beispiel jemand diese Aussage tätigt, der selbst eine halbe Milliarde Privatvermögen hat, meint er damit die Pflicht gegenüber seinen Mitarbeitenden, sie an dem Vermögen partizipieren zu lassen. Unternehmerinnen, die gut zu ihren Angestellten sind, sind in unserer Gesellschaft hoch angesehen – während ausbeuterische Unternehmen scharf kritisiert werden.

Reiche sind glücklicher als andere Menschen.
Wolfgang Lauterbach

Es wird ja immer wieder diskutiert, ob reiche Menschen eigentlich glücklicher sind. Lässt sich das aus Ihren Studien auch ableiten?

Wenn eine Mittelschichtsfamilie oder eine ärmere Familie wohlhabender wird, ist sie auch zufriedener, also glücklicher. Man hat jedoch auch herausgefunden, dass jemand kaum zufriedener wird, wenn er sowieso schon zehn Millionen auf dem Konto hat. Trotzdem lässt sich sagen: Reiche und Vermögende sind glücklicher als andere Menschen. Denn sie können sich vieles ermöglichen, was andere nicht können. Das heißt nicht, dass sie keine Sorgen haben. Sie sorgen sich zum Beispiel darum, wie das Vermögen angelegt wird. Oder wie sie es möglichst nicht mehr verlieren. Aber zufriedener im Leben sind sie.

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