Generation Z: Die reichste Generation?

Autor*innen
Kolja Rudzio und Stefan Schirmer
Zwei Hände halten ein Schild, wo eine Millionen drauf steht

Junge Menschen werden künftig noch wohlhabender sein als ihre Eltern, sagt der Arbeitsmarktforscher Enzo Weber. Die Studentin Anna Sach hält das für einen schlechten Scherz: "Wir brauchen keinen falschen Optimismus"

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Herr Professor Weber, wir erleben eine Gegenwart mit multiplen Krisen: Erderwärmung, Krieg, Corona, Inflation und eine alternde Gesellschaft. Trotzdem prognostizieren Sie als Ökonom, die junge Generation werde die wohlhabendste in der Geschichte sein. Woher nehmen Sie Ihren Optimismus?

Enzo Weber: Ich will die Krisen keineswegs verharmlosen, aber langfristig beruht unser Wohlstand auf technologischen Entwicklungen und auf einem besseren Einsatz von Arbeit. Und bei beidem sehe ich große Chancen. Nehmen wir das Problem der Demografie: In Deutschland werden die Arbeitskräfte knapp, ja, aber das können wir zum Positiven wenden, wenn wir das Potenzial jedes Einzelnen viel stärker fördern und entwickeln als bisher und dadurch die Produktivität erhöhen. Oder das Klima: Wenn wir das fossile Zeitalter beenden, ist das mit größeren technologischen Innovationen als bisher verbunden und mit völlig neuen Geschäftsmodellen. Unsere Studien am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zeigen zum Beispiel, dass ein digitales, ökologischeres Verkehrssystem für mehr Wohlstand sorgen dürfte. Deswegen sage ich: Die junge Generation kann die reichste sein, die wir jemals hatten.

Enzo Weber

Enzo Weber, 42, ist Forschungsbereichsleiter am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und VWL-Professor an der Uni Regensburg.

Frau Sach, als 24-Jährige gehören Sie zu der Generation, über die Herr Weber spricht, und Sie engagieren sich unter anderem in der Freiwilligenorganisation Service Civil International für Klimagerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Teilen Sie Herrn Webers optimistische Einschätzung?

Anna Sach: Nein, wir brauchen keinen falschen Optimismus. Wir haben nur noch weniger als sieben Jahre, bis das CO₂-Budget gemäß den Pariser Klimazielen aufgebraucht ist. Trotzdem wurden im vergangenen November auf der Klimakonferenz in Scharm al-Scheich wichtige notwendige Schritte blockiert. Und auf einem toten Planeten haben wir keine guten Arbeitsplätze und auch kein gutes Leben – das ist die Sorge meiner Generation.

Anna Sach

Anna Sach, 24, in Hessen aufgewachsen, studiert ökologische, wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeit in Barcelona.

Weber: Die Klimapolitik ist noch immer zu langsam, richtig. Aber der Druck zur Transformation steigt. Wir müssen gerade jetzt die Energiewende vorantreiben. Was ich sagen will: Wir stehen deshalb nicht vor dem wirtschaftlichen Untergang. Wenn wir die Hebel richtig stellen, dann bewahren und vergrößern wir unseren Wohlstand.

Einer Umfrage zufolge blicken zwei Drittel der Generation Z, also der etwa zwischen 1995 und 2012 Geborenen, pessimistisch in die Zukunft. Allerdings sahen sich auch die Babyboomer, als sie jung waren, als "No Future"-Generation. Neigen junge Generationen zu Pessimismus, Herr Weber?

Weber: Ich bin kein großer Freund pauschaler Generationenzuschreibungen. Klar ist: Die junge Generation erlebt aktuell, dass viele Krisen schnell aufeinanderfolgen. Aber frühere Generationen hatten auch ihre Krisen, etwa die Ölpreisschocks in den 1970er-Jahren, den 11. September 2001 oder die Weltfinanzkrise. Trotzdem ist der Wohlstand immer weiter gestiegen.

Frau Sach, Sie gehören zur Generation Z. Wie erklären Sie sich den Pessimismus in Ihrer Generation?

Sach: In meinem Umfeld sehe ich drei Hauptsorgen: Neben der Klimakrise und der Kritik an einem chancenungleichen Bildungssystem beschäftigt uns die wachsende soziale Ungleichheit. Wer ist denn gemeint, Herr Weber, wenn Sie sagen, meine Generation werde im Wohlstand schwimmen? Der Wohlstand ist ja extrem ungleich verteilt. Ein Prozent der Deutschen verfügt über ein Drittel des Gesamtvermögens. Weitervererben verstärkt diese Ungleichheit. Und Studien zeigen: Eine Gesellschaft mit ungleicher Vermögensverteilung ist deutlich unzufriedener als eine mit gleicherer Verteilung.

Auf einem toten Planeten haben wir keine guten Arbeitsplätze.
Anna Sach

Weber: Es stimmt, die Ungleichheit ist zu stark gewachsen. Deutschland hat einen großen Niedriglohnbereich aufgebaut, mit vielen Arbeitskräften, aber wenig Produktivität. Dieses Modell hat keine Zukunft. Denn uns werden mehr und mehr die Arbeitskräfte fehlen. Daraus entsteht aber ein Druck, der auch positiv sein kann: Künftig muss aus jedem Arbeitsplatz, aus jedem Beschäftigten und jeder Karriere das Beste gemacht werden, zum Beispiel durch systematische Fortbildung und bessere Qualifizierung. Das wiederum sorgt für eine höhere Produktivität und für bessere Löhne. Und die Löhne sind in den vergangenen zehn Jahren schon deutlich ausgeglichener und stärker gestiegen als zuvor.

Sach: Von dieser Vorstellung, wegen des Fachkräftemangels würden die Arbeitgeber sich um uns Jüngere nur so streiten, hat mir auch mein Arbeits- und Wirtschaftspsychologie-Professor erzählt. Aber ist die real? Viele meiner Freund*innen, die mit ihrem Studium fertig sind, bewerben sich erfolglos und landen in Praktika. Ich selbst hatte in zwei Jahren drei verschiedene Nebenjobs, auf sechs Monate, zwölf und drei Monate befristet. In der Wissenschaft sind 92 Prozent der unter 45-Jährigen befristet angestellt. Und da rede ich noch von sehr privilegierten Positionen am Arbeitsmarkt.

Weber: Zu Ihrer Beruhigung: Auch ich habe in meinem Leben einen Stapel befristeter Arbeitsverträge gesammelt. Das geht vielen angehenden Akademikerinnen und Akademikern so. Üblicherweise mündet das irgendwann in eine Dauerbeschäftigung, insgesamt schneidet diese Gruppe sehr gut ab im Arbeitsmarkt.

Sach: Ich fürchte, Herr Weber, nur eine Minderheit wird bessere Konditionen im Job für sich durchsetzen können. Vor allem IT-Spezialist*innen, die in der digitalen Transformation dringend gebraucht werden. Und der Rest? Was ist mit den Lieferfahrer*innen von Gorillas, die im vergangenen Jahr gestreikt haben? 350 Personen verloren ihren Job. Also, ich sehe diese rosigen Zeiten auf dem Arbeitsmarkt nicht.

Weber: Mir liegt nichts daran, alles in der Gegenwart schönzureden. Trotzdem: Schauen Sie nur mal, wie sich die Lage von Frauen und Älteren im Arbeitsmarkt verbessert hat. Lauter Beispiele für positiven Wandel, die zeigen, wie es weitergehen kann. Auch bei Jobs, für die man keine Ausbildung benötigt, geht es inzwischen voran. Da lag die Arbeitslosigkeit mal bei fast 30 Prozent, und die Löhne sind in den 1990er- und 2000er-Jahren sogar gesunken. Mittlerweile steigen die Löhne wieder, und nicht mehr schwächer als im oberen Einkommensbereich. Der Wind hat sich ein Stück weit gedreht.

Sie sagen sogar, auf dem Arbeitsmarkt hätten sich die Machtverhältnisse zugunsten der Jüngeren verändert. Haben Sie dafür ein Beispiel?

Weber: Wenn ich in Nürnberg zum Institut fahre, komme ich an einer U-Bahn-Haltestelle vorbei, mit Bildern an der Wand, die Schulklassen gemalt haben. Auf einem dieser Bilder steht eine kleine Figur vor einem dicken Herrn und sagt: "Bitte, bitte eine Lehrstelle!" So haben Schulklassen früher die Verhältnisse gesehen. Heute ist es doch eher umgekehrt.

Sach: Entschuldigen Sie, Herr Weber, das überzeugt mich nicht. In der Erziehung oder der Pflege ist der Personalmangel groß. Aber das schlägt sich finanziell nicht nieder, und die Arbeitsbedingungen bleiben schlecht, wie die streikenden Pflegekräfte in NRW 2022 belegt haben. Wo sind denn da die neuen Machtverhältnisse?

Weber: In diesen Branchen sind die Gesetze des Marktes nicht so wirksam, da braucht es politische Entscheidungen für mehr Geld – auch angesichts der Knappheit. Es ist aber falsch zu sagen, dass nichts passiert sei. Die Lohnentwicklung in Pflege und Erziehung ist seit 2010 überdurchschnittlich. 

Lassen Sie uns nach dem Arbeitsmarkt noch einmal auf den Klimawandel kommen. Bedroht der den zukünftigen Wohlstand?

Sach: Absolut! Wir werden nicht so weitermachen können wie bisher, schon weil die Erde an die Grenze ihrer Kapazitäten stößt. Daher müssen wir unser Wohlbefinden von materiellem Wohlstand entkoppeln. Studien zeigen: Für das Wohlbefinden ist nicht so wichtig, ob ich zwei Autos habe oder kein Auto, da zählt Teilhabe, Bildung, Anerkennung, Mitbestimmung, wenig Stress; zudem eine gute Kranken- und Rentenversicherung. Als Gesellschaft müssen wir im Einklang mit den Ökosystemen leben. Immer noch mehr und mehr Güter zu produzieren und zu konsumieren hat keine Zukunft.

Weber: Wohlstand ist nicht gleich materieller Konsum. Wohlstand brauchen wir etwa, um unser Bildungssystem zu finanzieren, das Gesundheitssystem oder für eine gute soziale Absicherung.

Aber wird der Kampf gegen die Erderwärmung nicht zwangsläufig bedeuten, dass wir uns einschränken müssen?

Weber: Der Kampf gegen die Erderwärmung passt nicht zusammen mit dem ressourcenfressenden Wachstum, das wir bisher erlebt haben. Aber Wachstum kann es auch auf dem Weg zur Klimaneutralität geben – sogar gerade dort, weil dazu viele Innovationen gehören.

Sach: Genau das muss hinterfragt werden. Neben den CO₂-Emissionen müssen wir auch an die anderen ökologischen Schäden denken, etwa in den Böden, im Grundwasser oder an das Artensterben. Und: Für die Dekarbonisierung braucht Deutschland Rohstoffe wie Lithium, Kobalt oder Nickel, deren Abbau verheerende ökologische und soziale Folgen hat. Ich weiß von Menschen in Südamerika, die daher Angst bekommen, wenn sie von den Klimaschutzplänen der EU hören.

Sie packen sehr viel auf den Tisch.

Sach: Das kann nicht einfach ignoriert werden.

Weber: Die Welt ist auf grüne Energie angewiesen, nicht nur Europa. Aber die EU kann Vorreiter sein, wenn es darum geht, Technologien zu entwickeln, ökologische Standards zu setzen und sozial verantwortliche Handelsbeziehungen zu etablieren.

Sach: Neben der planetaren Zerstörung ist auch eine Frage, wie nachhaltig und zukunftsfähig unsere Sozialsysteme sind. Das Rentensystem entwickelt sich zulasten der Jüngeren, weil es immer weniger Beitragszahlende pro Rentner*in gibt. Heute fließt schon ein Viertel des Bundeshaushalts als Zuschuss in die Renten. Bis zum Jahr 2060, sagen Prognosen, könnte es die Hälfte sein. Das ist enorm viel Geld, das für andere Investitionen fehlen wird.

Weber: Ohne Ausgleich würde das Arbeitskräftepotenzial in Deutschland bis 2035 um sieben Millionen schrumpfen. Aber wir können das verhindern. Es braucht Konzepte dafür, welche Tätigkeiten ältere Menschen im Erwerbsleben ausüben können. Wir müssen vermeiden, dass die berufliche Entwicklung von Frauen mit der Kinderphase einen dauerhaften Knick macht. Und wir müssen zugewanderte Menschen so integrieren, dass sie im deutschen Arbeitsmarkt das Beste aus ihrem Potenzial machen können.

Die künftige Finanzierung der Rente ist das eine, das andere sind die Schulden, die der Staat aufgetürmt hat, Stichwort: "Doppelwumms". Frau Sach, stimmt unser Eindruck, dass die Jüngeren sich deswegen gar nicht so viel sorgen?

Sach: Was nicht geht, ist, für die Zukunft zu sparen, aber dabei an der Zukunft zu sparen. Beim Klimaschutz, sagen alle Expert*innen, kommt es uns teurer, nicht zu handeln, als jetzt zu investieren. So ist es auch bei der Bildung. Eine andere Frage ist, wie viel Schulden verkraftbar sind. Eine schwierige Frage.

Weber: Um unsere Wirtschaft in der Krise am Laufen zu halten und gleichzeitig die Transformation zu forcieren, sind viele der Ausgaben gerechtfertigt. Manches geht aber über das Notwendige hinaus. Wir zahlen vielen im Land die Gasrechnungen, die sie selbst tragen könnten. Das sind Milliarden, die ich lieber in die Energiewende investiert hätte. Ich will hier aber auch mal Zahlen nennen, die Mut machen: Wir haben in den 2000er-Jahren viele Milliarden – mehr als vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts – für die Folgen der Arbeitslosigkeit ausgegeben. Heute sind es nur noch 1,5 Prozent, und es kann noch weniger werden.

Wenn Sie sich aussuchen könnten, zu welcher Generation Sie gehören: Welche wäre das?

Weber: Das klingt jetzt nicht sehr fantasievoll, aber ich lebe gern in meiner Generation. Denn wir haben Möglichkeiten, die Zukunft zu gestalten, die frühere Generationen nicht hatten. Das ist trotz aller tragischen Ereignisse in dieser Welt etwas Großartiges.

Sach: Ich mache mir Sorgen und weiß an manchen Tagen nicht, wie es weitergeht. Aber ich glaube, wir haben die Chance, Teil eines grundlegenden gesellschaftlichen Wandels zu sein und diesen zu gestalten. Deshalb bin ich glücklich, in meiner Generation geboren zu sein. Bei den Klimaprotesten voriges Jahr in Glasgow haben wir ein Lied gesungen, das heißt "Eine bessere Welt ist nicht nur möglich, sie ist auf dem Weg". Das hat mir Hoffnung gegeben.

Auf Wunsch von Frau Sach haben wir in ihren Antworten das Gendersternchen eingefügt.

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