Minimalistisch leben: Fünf verblüffende Kniffe für ein einfach gutes Leben

Autor*innen
Lino Wirag
Eine Frau meditiert auf einer Wolke, ihr Gesicht ist durch eine Sonne ersetzt [© Porechenskaya – stock.adobe.com]

Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Minimalismus. Menschen verleihen ihre Autos und Bohrmaschinen, tauschen Börsen und sourcen crowd, manche kommen gar mit weniger als 50 Gegenständen durch den Alltag. Verzicht hat Gewicht, Entsagung ist angesagt. Wir verraten fünf Rezepte für ein einfach gutes Leben.

1. Stell deinem Besitz die Killerfrage

Die drei minimalistischen Weisheiten lauten: Was weg ist, kann nicht nerven. Was weg ist, schafft Platz für Neues. Was weg ist, fehlt (fast) nie. Wer also die Dinge reduziert, mit denen er sich umgibt, gewinnt Freiheit und Lebenszeit.

Also gleich den Fernseher aus dem Fenster schmeißen und das Meerschwein hinterher? Mumpitz. Es geht darum, die falschen Gegenstände zu verabschieden und nur die richtigen zu behalten. Nur: Wer ist wer?

Hier kommt die Killerfrage von Sortierkönigin Marie Kondo ins Spiel. Mit ihr traktierst du deine Besitztümer, um dich dann für Töpfchen oder Kröpfchen zu entscheiden. Die Killerfrage lautet: "Bereitet mir dieser Gegenstand Freude?" Et voilà: Wenn du spontan keine Gründe für die Existenz der rotzfarbenen IKEA-Vase "Gutvik" nennen kannst, ist es Zeit, die Scheidung einzureichen. Natürlich ist es nachhaltiger, diese dann nicht einfach nur in der Restmülltonne verschwinden zu lassen. Vielleicht findest du noch ein Abnehmer, der wirklich Freude daran hat und schenkst der Vase damit ein neues Zuhause.

Lass dich dabei nicht von Denkfehlern hereinlegen: Argumente wie "Aber das erotische Ölgemälde hat Schwiegermutter extra fürs Schlafzimmer gemalt!" oder "Aber die angerostete Crêpesplatte hat mal 120 Euro gekostet!" gelten nicht. Sie täuschen nur eine Bindung an einen unbelebten Klumpen vor, ohne den dein Leben gewinnt. 

2. Werde ein anspruchsvoller Konsument

Wer vereinfacht, wird bewusster. Als angehender Minimalist fällt dir deshalb das Einkaufen schwerer als anderen.

Du kaufst ...

  • wenig
  • dafür von hoher Qualität, was Gestaltung, Herstellung und Haltbarkeit betrifft,
  • und bevorzugt Gegenstände, die mehrere Zwecke zugleich erfüllen oder sich gut kombinieren lassen. 

"Shoppen" und "Schnäppchen" kommen in deinem Vokabular nicht vor; und wenn, dann shoppst du vor allem Verbrauchsgüter (z.B. Lebensmittel), die von alleine wieder den Ausgang finden.

Außerdem hast du zwei weitere minimalistische Taktiken in petto, die dem Otto-Normaleinkäufer überlegen sind. Erstens: Warten. Zwischen erstem Besitzwunsch und tatsächlichem Kauf lässt du Zeit vergehen. Dabei hilft dir zum Beispiel die Wunschlisten-Funktion eines großen Online-Versandhändlers: Begehrte Objekte kannst du dort so lange zwischenparken, bis du dich endgültig für oder gegen sie entschieden hast. Oft ist deine Gier schon nach wenigen Tagen wieder verflogen. Und du hast Platz und Zeit gespart – und theoretisch sogar Geld, das du sonst ausgegeben hättest.

Zweite Taktik: Du fragst dich, ob du a) die erwogene Anschaffung häufiger als alle zwei Jahre benutzen wirst (siehe Tipp 5), oder b) ob du schon Dinge besitzt, die die gleiche Funktion erfüllen.

3. Scheiden tut wohl

Kennst du das gute Gefühl, den Müllsack armestief in die Tonne zu drücken? Den Biomüll schwungvoll überm Komposthaufen zu verstreuen? Dein Gehirn belohnt dich nicht nur fürs Kaufen, sondern auch fürs Wegschmeißen. Du erhältst süßes brain candy dafür, dass du eine Last beseitigt hast – nicht nur physisch, auch psychisch.

Das Geheimnis dahinter: Jeder getilgte Fetzen Vergangenheit ermuntert deine Psyche, den freigewordenen Raum mit positiven Projektionen zu füllen. Wo nichts ist, könn(t)en tausend Blumen blühen.

Und selbst dein Gelber Sack, der gerade vom Müllwagen zerkaut wird, hat deinen 'alten' Konsum symbolisch aus dem Haus eskortiert und damit Raum für lustvollen 'Nachschub' geschaffen. (Wer die Meisterklasse Minimalismus absolviert hat, weiß natürlich, dass man sich mit dem Nachschub gerne Zeit lassen darf.)

Was lehrt uns das? Simpel. "Delete, repeat", sei dein Mantra. Jede E-Mail, die zu Datenstaub zerschreddert, jedes Schriftstück, das von der Rundablage Mülleimer geschluckt wird, schafft Leichtigkeit, Freiheit, Beweglichkeit.

4. Eins rein, zwei raus

Wenn die Löschtaste bei dir noch nicht so locker sitzt, wie du möchtest, hilft dir diese List: Für jeden Gegenstand, den du anschaffst, müssen zwei umziehen. In die Geschenkekiste vor der Haustür, an eine Freundin oder über eBay Kleinanzeigen; auf keinen Fall in den Keller oder Speicher. Besonders bei Büchern, DVDs und Bekleidung wirkt diese Kur Wunder.

Harald Martenstein unterzog seinen Bücherschrank einem ähnlichen Ritual: "Meine kleine Bibliothek wird immer besser, wie eine Soße, die man einkocht." Das Ziel seiner Mühen? Wonne! "Ich werde am Ende nur noch Bücher besitzen, von denen ich überzeugt bin. Im Moment schauen mich aus dem Regal noch zahlreiche Fremde an, eines Tages stehen dort nur noch Freunde."

Wie sollte er da nicht zu dem (schönen) Schluss kommen: "Mit allen anderen Besitztümern sollte man es genauso halten"? Wer hält mit?

5. Minimalistisch leben nach der 2-Jahres-Regel

Die 2-Jahres-Regel lautet: Du sollst nichts besitzen, was du in zwei Jahren nicht wenigstens einmal benutzt hast. Denn nicht nur Lebensmittel, jeder Gegenstand bedarf eines Haltbarkeitsdatums. Was nicht mehr gebraucht wird, ist auch nicht mehr zu gebrauchen.

Weg also mit den Häkelunfällen von Mutti. Weg mit dem nett-aber-nutzlosen Geburtstagsgimmick, das genau einmal Spaß gemacht hat. Weg mit dem Sandwichtoaster und dem Surfbrett, das im Keller nur noch auf der kaputten Mikrowelle surft.

Sie hatten ihre Zeit. Sie hatten ihre Chance. Sie haben sie nicht genutzt. Sie dürfen jetzt gehen.

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