Soziales Netzwerk: Der Linkedin-Knigge

Autor*innen
Dennis Kremer
Zwei Arme halten zwei Handys, die miteinander kommunizieren

Auf dem Berufsnetzwerk Linkedin missachten viele Nutzer klassische Umgangsformen. Was wohl der alte Knigge dazu gesagt hätte? Wir haben nachgeschlagen.

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Das Leben mit Linkedin kann ganz schön nervig sein. Das Karrierenetzwerk, seit 2016 im Besitz des amerikanischen Softwarekonzerns Microsoft, dient Berufstätigen aus aller Welt zwar durchaus auch dazu, einen neuen Arbeitgeber zu finden – genauso wie Unternehmen dort nach neuen Arbeitnehmern suchen.

Aber Linkedin (wörtlich übersetzt "eingebunden sein") ist für viele seiner mehr als 850 Millionen Nutzer eben auch ein Ort der Selbstdarstellung, was mitunter irritieren kann: dann zum Beispiel, wenn Nutzer privateste Erlebnisse wie die Hochzeit der eigenen Kinder mit der Community teilen. Oder wenn Unternehmenssprecher jede noch so irrelevante Aktion ihres Vorstandsvorsitzenden mit einem "Daumen hoch" oder ganz großen Worten bejubeln. Oder auch, wenn sich das Vorstandsmitglied einer Bank dafür feiert, noch auf dem Flug in den Urlaub letzte Korrekturen am Jahresbericht vorzunehmen. O-Ton: "Eine gute Lektüre für die Reise habe ich dabei: unseren Jahresbericht." Beweis-Selfie inklusive, versteht sich.

Nun war es immer schon so, dass die Menschen auf sozialen Netzwerken viel, mitunter auch zu viel, von sich preisgeben. Dies ist seit der Gründung von Facebook im Jahr 2004 ein wesentlicher Teil des Geschäftsmodells: Alle sozialen Medien möchten die Nutzer so lange wie möglich auf ihren Seiten oder in ihrer App halten, dazu ist ihnen nahezu jede Art der Interaktion recht. Allerdings wollen Angebote wie Linkedin oder auch das deutsche Xing sich ja dezidiert der beruflichen Vernetzung widmen, weswegen sich schnell die Frage stellt: Wo sind die Grenzen? Was ist zu privat für Linkedin, was geht gerade noch? Und überhaupt: Welche Umgangsformen aus der realen Welt gelten eigentlich im Digitalen? Was lässt sich getrost übertragen, und was ist tatsächlich ein bisschen anders?

Antworten auf diese Fragen kann Evelyn Siller geben, die einer Institution vorsteht, die sich wie keine andere mit Stilfragen auskennt: Siller ist Vorsitzende des Deutschen Knigge-Rats und steht damit in der Tradition eines Mannes, der mit seinem 1788 erschienenen Werk "Über den Umgang mit Menschen" das Denken über Etikette im deutschsprachigen Raum beeinflusst hat wie kein anderer. Die Rede ist von Adolph Freiherr Knigge (1752-1796).

Die Knigge-Lektionen

Siller ist überzeugt, dass der Freiherr – würde er heute noch leben – durchaus Social-Media-Dienste nutzen würde. "Er war ein sehr liberaler, im wahrsten Sinne des Wortes freiheitlicher Mensch." Allerdings ist sich die Expertin auch sicher, dass Knigge dabei einer grundsätzlichen Leitlinie gefolgt wäre: "Er hätte sich auch im Digitalen nie anders verhalten als bei einer Begegnung im realen Leben." Die erste Knigge-Lektion für Linkedin-Nutzer lautet also: Mache keinen Unterschied zwischen real und digital – verhalte dich überall gleich höflich.

Was aber bedeutet das nun konkret? Sollte man zum Beispiel so viele Kontakte wie möglich auf Linkedin sammeln, weil Reichweite ja schließlich auch eine gewisse Wahrnehmung garantiert? Wer beim alten Knigge nachschlägt, findet darauf eine eindeutige Antwort: "Sei ebenso vorsichtig in der Wahl derer, mit denen Du einen vertrauten Briefwechsel anfängst, als in der Wahl Deines täglichen Umgangs und Deiner Lektüre." Selbstredend ging es hierbei nicht um Social-Media-Posts, sondern um das klassische Kommunikationsmittel des 18. Jahrhunderts, den Brief. Die Knigge-Lektion Nummer zwei ist trotzdem klar: Qualität zählt, nicht Quantität!

Nun ist es aber via Linkedin auch wesentlich leichter als zu früheren Zeiten, Menschen zu kontaktieren, an denen man tatsächlich ein ernsthaftes berufliches Interesse hat. Oft erfolgen solche Kontaktanfragen ohne zusätzliches Anschreiben. Manchmal aber findet sich in der privaten Inbox des Kontaktierten aber auch ein Text wie: "Hallo Herr X/Frau Y, ich freue mich, dass wir uns hier vernetzen. Viele Grüße!" Was Knigge wohl dazu gesagt hätte?

Expertin Evelyn Siller stellt dazu eine eindeutige Rangfolge auf: "Auf jegliche Ansprache zu verzichten ist nur in Ordnung, wenn es keiner Worte bedarf, weil die Personen ohnehin eng zusammenarbeiten und sich gut kennen. Im Regelfall ist also ein Anschreiben besser als kein Anschreiben. Allerdings sollte es sich nach Möglichkeit nicht um einen Standardbrief handeln." Denn auch zu Letzterem hat Freiherr Knigge deutliche Worte gefunden. In seinem Werk schrieb er einst: "Nimm Dir auch vor, nie irgendeinen ganz leeren Brief zu schreiben, in welchem nicht wenigstens etwas stünde, das dem, an welchen er gerichtet ist, Nutzen oder reine Freude gewähren könnte." Die Knigge-Lektion Nummer drei heißt darum: Was immer man auch schreibt oder postet  – es muss auch dem anderen etwas bringen, nicht nur einem selbst.

Das klingt wie eine Selbstverständlichkeit, aber gerade bei einem speziellen Linkedin-Phänomen zeigt sich, dass diesen Hinweis längst nicht alle berücksichtigen. Viele Nutzer verteilen sogenannte "Likes" (also einen Daumen nach oben) recht wahllos unter den Beiträgen anderer. Die Folge: Der auf diese Weise hervorgehobene Beitrag wird auch allen eigenen Followern angezeigt, genauso übrigens wie Kommentare, die man unter den Beiträgen anderer hinterlässt. Wer viel kommentiert und viele Likes verteilt, behelligt damit also auch viele andere Nutzer. Das sollte man sich gut überlegen, wie Knigge ebenfalls schon vor mehr als 200 Jahren festgestellt hat: "Dehne also Deinen Briefwechsel, so wie Deinen Umgang, nicht über Gebühr aus. Das hat keinen Zweck, .?.?." Die Knigge-Lektion Nummer vier ist der dritten also nicht unähnlich: Bedenke stets, dass dein Tun die Lebenszeit anderer verschwenden könnte.

Wie privat soll es auf Linkedin zugehen?

Bleibt noch ein fünfter Punkt: Wie persönlich sollten Nutzer auf Linkedin werden? Knigge-Expertin Siller hält dazu einen einfachen Rat bereit: "Man kann Persönliches teilen, sollte aber auf Privates verzichten." Die Unterscheidung erschließt sich nicht auf den ersten Blick, lässt sich aber leicht erklären. Seine Follower über bestimmte persönliche Vorlieben (Lieblingsspeise, Hobbys) aufzuklären kann nahbarer machen, wenn es nicht im Übermaß geschieht. Sie an zutiefst Privatem wie der Hochzeit des eigenen Kindes teilhaben zu lassen überschreite für sie aber Grenzen, findet Evelyn Siller. "Man sollte Follower nicht mit Freunden verwechseln." Die fünfte und letzte Knigge-Lektion lautet darum: Sei offen, aber nie zu offen!

Der Freiherr selbst wusste um die Gefahr des Unbedachten, der alle Social-Media-Nutzer ständig ausgesetzt sind. Knigge schrieb: "Ein einzig hingeschriebenes, unauslöschliches Wort, ein einziges aus Unachtsamkeit liegengebliebenes Papier hat manches Menschen Ruhe . . . zerstört." Es scheint fast, als hätte Knigge geahnt, dass die Menschheit selbst 235 Jahre nach dem Erscheinen seiner berühmten Schrift solche Warnungen noch immer gut gebrauchen kann.

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