Interview: "Wer mehr als andere verdienen will, tut sich keinen Gefallen"

Lächelnde Frau mit Geldbündel in der Hand

Der Job ist nach der Gesundheit der wichtigste Grund, warum Menschen zufrieden sind, sagt Martin Schröder. Warum viele trotzdem mit sich hadern – und ab welcher Gehaltsstufe Geld nicht mehr glücklich macht.

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Was macht mich glücklich? Schon die Frage sei falsch, sagt der Soziologe Martin Schröder. "Glück ist eine Emotion, ein Zustand, der kommt und geht – und daher schwer messbar." Die viel wichtigere Frage laute deshalb: Was macht mich zufrieden? Hier könnten Menschen ganz gut eine Einschätzung abgeben.

Schröder hat sich intensiv mit dieser Frage beschäftigt – mit Blick auf die Karriere, die Freizeit, das Leben generell. Und er hat statistische Antworten auf grundlegende Fragen gefunden: Was geht am stärksten mit der Zufriedenheit einher? Was am wenigsten?

Als Datengrundlage diente dem Soziologen das Sozio-oekonomische Panel – eine jährliche Umfrage mit insgesamt mehr als 80.000 Teilnehmern, die seit 1984 läuft. "Das besondere ist, dass hier nicht immer unterschiedliche Menschen befragt werden, sondern stets dieselben Personen – Jahr für Jahr, seit beinahe 40 Jahren", sagt er. Das erlaube es, kausalere Schlüsse zu ziehen.

Im Gespräch mit dem Handelsblatt erläutert Schröder, warum der Job neben der Gesundheit der wichtigste Zufriedenheitsfaktor überhaupt ist, bis zu welchem Punkt Geld noch zufrieden macht – und worauf Menschen in ihrer Karriere achten sollten, damit sie bis zur Rente zufrieden bleiben.

Martin Schröder, 41, ist Professor für Soziologie an der Philipps-Universität Marburg. Er beschäftigt sich vor allem mit soziologischen Fragen, die in Zusammenhang mit Wirtschaft und Arbeit stehen.

Die wichtigsten Schlüsse seiner Zufriedenheitsforschung hat er in dem Buch "Wann sind wir wirklich zufrieden?" zusammengefasst, das als erweiterte Taschenbuchausgabe Ende 2021 im Penguin-Verlag erschienen ist.

Herr Schröder, welche Rolle spielt der Job für die eigene Zufriedenheit?

Der Job ist einer der wichtigsten Faktoren, neben der Gesundheit wahrscheinlich sogar der wichtigste überhaupt. Das zeigt sich allein schon darin, dass offenbar nichts unzufriedener macht, als seinen Job zu verlieren. Nicht nur meine Ergebnisse, auch zahlreiche andere Studien zeigen: Arbeitslos zu werden ist die zuverlässigste Methode, um etwa fünf bis zehn von 100 möglichen Zufriedenheitspunkten zu verlieren. Im Vergleich zu allem anderen ist das ein extremer Effekt. Denn eigentlich ist die Lebenszufriedenheit von Menschen recht stabil. Selbst irgendeinen Job zu haben, ist für die eigene Zufriedenheit offenbar besser, als arbeitslos zu sein.

Woran liegt das?

Zunächst ist der Job in aller Regel das, was Menschen ganz banal hilft, genug Geld zu verdienen, um zufrieden zu sein. Es geht nicht darum, Unsummen zu verdienen, sondern eben genug. Außerdem gibt er Menschen das Gefühl, gebraucht zu werden und somit Anerkennung. Und er ist auch zu einem großen Anteil das, was uns mit sozialen Kontakten zusammenbringt. Und die sind für die Zufriedenheit generell enorm wichtig.

Wie viel Gehalt ist denn genug, um zufrieden zu sein?

Wichtig ist Geld dann, wenn Sie keines haben. Wenn Sie allerdings schon welches haben, ist es eigentlich egal, ob Sie noch mehr dazubekommen. Jemandem, der bisher arm ist, zu sagen, Geld sei gar nicht so wichtig – das wäre Quatsch. Aber bei allen, die sich um Geld nicht tagtäglich Gedanken machen müssen, wäre es ebenso Quatsch zu sagen: Achte doch mal auf die nächste Gehaltserhöhung. Die Grenze liegt da ungefähr bei 2.000 Euro netto. Inzwischen, in Zeiten von zehn Prozent Inflation, vielleicht bei 2.200 Euro.

Mehr als 2.200 Euro Nettogehalt machen nicht mehr zufriedener?

Als Richtwert stimmt das, ja. Natürlich brauchen Sie mehr Geld, je mehr Personen Sie versorgen müssen. Und in Frankfurt ist das Leben teurer als auf dem Dorf in Sachsen-Anhalt. Fest steht aber: Wenn Sie bereits mehr als 3.000 Euro netto haben, bringt mehr Einkommen Ihrer Zufriedenheit ziemlich wenig. Spätestens zwischen 2.000 und 3.000 netto kann man wohl sagen: Mehr Geld fängt an, nichts mehr zur Zufriedenheit beizutragen.

Welche Rolle spielen Anerkennung oder Prestige im Berufsleben?

Prestige, Anerkennung, Gebrauchtwerden – all das ist für die Zufriedenheit im Job enorm wichtig. Und eben auch alles, was damit einhergeht: soziale Kontakte etwa. Wir sehen auch Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Wenn Männer zu einem prestigeträchtigeren Job wechseln, gewinnen sie ungefähr doppelt so stark an Lebenszufriedenheit hinzu wie Frauen. Das ist schon bemerkenswert – auch, wenn ich diese Geschlechterdimension prinzipiell ungern in den Vordergrund stelle.

Wie erklären Sie sich das?

Auch ich kann über den Mechanismus hinter den Daten an dieser Stelle nur spekulieren. Naheliegend ist aber, dass Männer sich stärker über ihre berufliche Rolle definieren. Frauen haben offenbar mehr Rollen zur Auswahl, über die sie Selbstwertgefühl schöpfen können. Und daran hat sich in den vergangenen 40 Jahren offenbar erstaunlich wenig geändert.

Gibt es eine Branche, in der die Leute besonders zufrieden sind? Oder ein bestimmtes Berufsbild?

Es gibt keine Systematik, die verlässliche Aussagen über Branchen oder bestimmte Jobs zulässt. Was Studien aber immer wieder zeigen: Die Selbstbestimmung im Job ist für die Zufriedenheit enorm wichtig. Je seltener jemand ankommt und Ihnen sagt, wie Sie etwas zu machen haben, desto zufriedener sind Sie mit Ihrem Job.

Und wenn ich meinen Job nicht so spannend finde?

Dann ist die Qualität der sozialen Kontakte noch mal entscheidender. Wenn ich meine Kollegen blöd finde, finde ich meist automatisch auch meinen Job blöd – und umgekehrt.

Ist also das Arbeitsumfeld entscheidender als die eigentliche Tätigkeit?

Das kann ich so pauschal nicht sagen, weil es nichts ist, was sich statistisch so einfach berechnen lässt. Andere Studien zeigen aber: Die Einstellung gegenüber den Kollegen ist ganz entscheidend für die eigene Zufriedenheit. 

Inwiefern?

Wer mehr als andere verdienen, die tollere Beförderung bekommen, der Beste sein will, tut sich selbst und den anderen keinen Gefallen. Zufriedener sind die Menschen, die zum Beispiel sagen: Mir ist es wichtig, dass ich mich mit meinen Kollegen gut verstehe.

Kommt man damit wirklich weiter?

Das hört sich jetzt vielleicht ein bisschen Hippie-mäßig an, aber: Ich weiß nicht, ob es für Ihre Karriere eine gute Einstellung ist, besser als andere sein zu wollen, den Job als ein Wettrennen gegen die Konkurrenz im Betrieb zu sehen. Besser als andere sein zu wollen, ist jedoch auf keinen Fall eine Einstellung, die dazu beiträgt, selbst zufrieden zu sein – weder im Job noch generell im Leben.

Was ist sonst noch zuträglich für die Zufriedenheit im Job?

Interessanterweise zeigt die Statistik, dass längere Arbeitszeit oft mit mehr Zufriedenheit einhergeht. Das gilt besonders bei Vätern. Bei Müttern ist der Zusammenhang zwischen Lebenszufriedenheit und Arbeitsstunden nicht besonders stark. Väter dagegen schöpfen ihre Zufriedenheit häufig vor allem aus einem Vollzeitjob. Die Daten zeigen auch, dass Sie sich gar nicht besonders schonen müssen – auch wenn sich das jetzt erst einmal blöd anhören mag. Es ist zum Beispiel nicht so, dass diejenigen, die sehr viel Urlaub nehmen, zufriedener sind. Wer gar keinen Urlaub nimmt, ist viel unzufriedener, ja. Aber ab zwei Wochen Urlaub im Jahr geht die Zufriedenheit nicht mehr merklich hoch.

Macht eine bessere 'Work-Life-Balance' also gar nicht zufriedener? Gibt es gar keinen Zusammenhang zwischen einem Mehr an Freizeit und der eigenen Zufriedenheit?

Die Daten legen zumindest nicht nahe, dass nur zufrieden ist, wer sehr viel Freizeit hat. Statistisch gesehen steigt die eigene Zufriedenheit, bis man etwa zwei Stunden Freizeit täglich hat. Aber auch der Effekt ist nicht sehr stark, maximal einen von 100 möglichen Zufriedenheitspunkten gewinnt man dadurch. Also, wenn Sie das können, wenn Sie das möchten: Karriere zu machen, sich anzustrengen, im Job gut sein zu wollen, auch viel zu arbeiten – all das kann durchaus stark mit der Zufriedenheit von Menschen einhergehen.

Dabei kann ein gewisses Faible für den jeweiligen Job sicher nicht schaden, oder?

Auch dieser Faktor spielt eine Rolle. Es gibt das Konzept des Flow – dass man in einer Tätigkeit aufgeht. Das ist wichtig: eine Tätigkeit auszuüben, die zwar Ihre Fähigkeiten nutzt, aber nicht übersteigt. Es ist also wichtig, darauf zu achten, dass Ihre Aufgaben und Fähigkeiten gut zusammenpassen. Klar: Jeder Job macht auch irgendwann mal keinen Spaß. Grundsätzlich aber sollte man sich fragen: Ist das hier etwas, was ich gern mache? Oder mache ich diesen Job, weil ich mehr Geld verdienen will, weil ich besser sein will als mein Arbeitskollege? 

Sie raten dazu, nicht zu früh mit dem Arbeiten anzufangen. Warum?

Wenn Sie in den Job einsteigen mit Mitte oder Ende 20, wenn auch all Ihre Freunde diese Veränderung durchmachen, dann scheint das zufriedener zu machen, als unter 22 in den Job einzusteigen. Der andere Faktor ist ganz banal: Wenn Sie später arbeiten, hatten Sie wahrscheinlich mehr Zeit, um Ressourcen aufzubauen, die dann auch zu einem besseren Job führen. Wenn Eltern ihren Kindern nahelegen, möglichst früh mit dem Arbeiten anzufangen, ist das vermutlich kein guter Rat.

Was wär denn dann einer?

Richtigerweise müsste man sagen: "Na gut, studiere vielleicht nicht im 28. Semester Soziologie, aber nutze besser mehr Jahre, um deine Ressourcen zu erhöhen, bevor du in den Job einsteigst". Ein Masterabschluss ist zum Beispiel besser als ein Bachelorabschluss. Und die Zeit bis dahin ist für die Zufriedenheit der allermeisten Menschen sehr zuträglich. Erst mit einem Berufseinstieg Mitte 30 sinkt die Lebenszufriedenheit wieder eindeutig.

Seit Corona greift weltweit das Phänomen der Great Resignation um sich, eine Kündigungswelle im Zuge der Pandemie. Kann uns Kündigen zufriedener machen?

Das Grundproblem ist natürlich, dass die Gefahr der Arbeitslosigkeit, die ja unzufriedener macht als fast alles andere, wie ein Damoklesschwert über allem schwebt. Allerdings: Schlechter geht es Ihnen nur dann, wenn Sie Ihren Job nicht von sich aus gelassen haben. Leuten, die selbst gekündigt haben, geht es im Durchschnitt sogar minimal besser als vorher. Das Unfreiwillige, das nicht Selbstbestimmte, scheint das Problem zu sein. Die Selbstbestimmtheit ist offenbar der rote Faden, der sich durch die Zufriedenheit zieht. Vielleicht mit einer einzigen Einschränkung: Es gibt die Vermutung, dass wir manchmal auch gar nicht so genau wissen, was gut oder schlecht für uns ist. Wobei, und das ist ja fast schon banal: Wenn Sie selbst Kontrolle über Ihr Leben und Ihre Arbeit haben, dann ist das viel, viel besser für Ihre Zufriedenheit als wenn Sie das Gefühl haben, dass Ihnen Dinge einfach nur passieren.

Hat die Corona-Pandemie die Zufriedenheit im Job verändert? Viele Arbeitnehmer mussten ja plötzlich ins Homeoffice.

Ob Homeoffice oder Büro generell zufriedener macht, kann ich Ihnen nicht sagen. Was sich aber auf jeden Fall sagen lässt: Während der Hochphasen des Lockdowns waren die Menschen viel, viel unzufriedener. Die Effektstärke war so, als wäre die gesamte Gesellschaft auf einmal arbeitslos geworden. Allerdings: Sobald der Lockdown vorbei war, stieg die Zufriedenheit sofort wieder auf Normalniveau.

Warum ist das so?

Das ist ein Phänomen, das sich durch die gesamte Zufriedenheitsliteratur zieht: Sie können im Lotto gewinnen und Ihre Zufriedenheit ist kurz danach wieder fast wie zuvor, Sie können eine Behinderung bekommen und ein, zwei Jahre später sind sie auf der Zufriedenheitsskala wieder ungefähr da, wo sie vorher waren. Es hätte mich deshalb auch sehr gewundert, wenn es bei Corona anders gewesen wäre.

Herr Schröder, vielen Dank für das Interview.

Die Fragen stellte Tobias Gürtler

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