Die Karrierefrage: Wie werde ich digitaler Nomade?

Autor*innen
Lisa Kuner
Ein geöffneter Koffer in dem Wolken sind

Wer für seine Arbeit nicht mehr als das Internet braucht, kann durch die Welt reisen und weiter Geld verdienen. Doch Papierkram, Zeitverschiebung und die leidige Disziplin bergen Herausforderungen.

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Wenn in Deutschland der Arbeitstag schon fast endet, startet Alexander Duffner derzeit erst mit seiner Arbeit. "Ich habe aber eine ganz normale Arbeitswoche", sagt er. Der 33-Jährige ist selbständiger UI/UX-Designer und arbeitet als digitaler Nomade von überall auf der Welt. Mitte Juni erreiche ich ihn in Medellín, Kolumbien, mit sieben Stunden Zeitverschiebung. Wegen des angenehmen Klimas nennt sich die Stadt selbst "Stadt des ewigen Frühlings". Die Temperaturen sinken dort selten unter 20 Grad, richtig heiß wird es aber auch nicht oft.

Früher war Medellín international hauptsächlich für Drogenhandel bekannt, spätestens seit der Pandemie wird die Stadt bei Menschen aus aller Welt, die ortsunabhängig arbeiten, beliebter. Alexander Duffner arbeitet schon seit fast zehn Jahren von verschiedensten Orten auf der Welt – in Medellín ist er jetzt schon zum zweiten Mal. Als er begonnen hat, so zu arbeiten, hätten die meisten Menschen mit dem Konzept noch nichts anfangen können, sagt er. Jetzt nach der Pandemie sei es einfacher zu erklären, dass er als digitaler Nomade von überall arbeiten könne.

Unter digitalen Nomaden versteht man Menschen, die langfristig ortsunabhängig arbeiten. Für sie spielt es also keine Rolle, ob sie im Café, der Bibliothek, im Büro oder am Küchentisch sitzen und es ist genauso wenig entscheidend, ob sie sich in Duisburg oder Buenos Aires befinden. Ein stabiler Internetzugang reicht ihnen, um ihre Arbeit zu erledigen.

Die meisten Kunden in den USA

Alexander Duffner kennt eigentlich gar keine andere Form von Arbeit. Er hat schon während seines Design-Studiums in London von unterwegs gearbeitet. "Ich kann mir einen Lebensstil, bei dem man immer aus dem Büro am selben Ort arbeitet, gar nicht vorstellen", erklärt er. Erst habe er sich dann überlegt, welche Jobs er auch im Ausland machen könne – beispielsweise Arbeit in Restaurants, Hostels oder auf Yachten. Der Nachteil bei dieser Art von Jobs: Das Einkommen ist eher gering – vor allem wenn man ein europäisches oder US-amerikanisches Einkommen als Vergleich anlegt. "Ich hatte dann schnell digitale Arbeit auf dem Radar", sagt er. Er habe dann verschiedene Dinge wie Reiseblogs oder Fotografie ausprobiert. Am Ende landete er aber bei dem, was er eigentlich studiert hatte, und verbessert nun das Nutzererlebnis von Websites. Theoretisch kann man ihn von überall auf der Welt buchen, seine meisten Kunden befinden sich aber in den USA.

Rund 35 Millionen digitale Nomaden auf der Welt

Aktuell gibt es noch wenige Statistiken zu digitalen Nomaden. Eine Studie des US-amerikanischen Unternehmens MBO Partners kommt beispielsweise zu dem Ergebnis, dass es weltweit rund 35 Millionen digitale Nomaden gibt. Knapp die Hälfte davon kommen demnach aus den USA und seit 2019 habe sich die Zahl verdoppelt. Auch immer mehr Menschen aus Deutschland arbeiten heute ortsunabhängig. Der "Digital Nomad Index" des britischen Telekommunikationsanbieters Circleloop wertet aus, in welchen Ländern verschiedene Faktoren wie Visa-Bedingungen und schnelles und bezahlbares Internet besonders gut für die Fernarbeit sind. Demnach ist Kanada das beste Land für digitale Nomaden, gefolgt von Großbritannien und Rumänien.

Nicht alle wollen so weit weg. Marina Brandelik und Florian König konzentrieren sich bei ihren Reisen auf Europa. Die beiden sind 28 und 29 Jahre alt und reisen mit ihrem Camper und ihrem Hund. Danke eingebautem Internetrouter, können sie überall, wo sie den Camper abstellen, arbeiten. "Rund zehn von zwölf Monaten sind wir unterwegs", erzählt König. Im Juni sind die beiden zum Heimatbesuch in Singen am Bodensee. Brandelik hat früher im Einzelhandel gearbeitet, König als Industriemechaniker. Irgendwann haben ihnen die Jobs keinen Spaß mehr gemacht. "Ich habe mich irgendwann gefragt, ob das schon alles war", erklärt Brandelik. König ging es ähnlich. Die beiden überlegten sich dann, wie ein Leben aussehen könnte, in dem man nicht mehr aus dem Urlaub nach Hause fährt. "Weil wir beide vorher handwerkliche Berufe hatten, war das mit der Selbständigkeit und Social Media völlig neu für uns", fügt Brandelik hinzu.

Das Paar versuchte erst Geld mit Körpersprachenworkshops oder selbst genähten Handtaschen zu verdienen, irgendwann landeten sie dann bei Social Media. Erst als Dienstleister, heute haben sie ihr eigenes Unternehmen und beraten andere im Prozess digitale Nomaden zu werden – mit Workshops und mit ihrem Digitale Nomaden Podcast.

Digitalnomaden im Angestelltenverhältnis

Man muss nicht unbedingt selbständig sein, um dauerhaft von unterwegs zu arbeiten. Einige digitale Nomaden arbeiten auch angestellt – in Arbeitsverhältnissen, die auch komplett ortsunabhängig funktionieren. Das hat den Vorteil, dass die finanzielle Sicherheit deutlich größer ist, weil am Ende des Monats ein Gehalt auf dem Konto landet. Allerdings ist man auch an Weisungen des Arbeitgebers gebunden. Er kann zum Beispiel Erreichbarkeit zu bestimmten Zeiten verlangen oder unter Umständen auch irgendwann Anwesenheit in einem Büro.

Für Alexander Duffner, der oft auch in unterschiedlichen Zeitzonen unterwegs ist, ist darum eine Selbständigkeit attraktiver: "Ich habe nur wenige Telefongespräche oder Videoanrufe mit meinen Kunden", erklärt Duffner. Sonst sei er in der Zeiteinteilung völlig frei.

Duffner sucht sich meist für einige Wochen oder Monate eine möblierte Wohnung an einem Ort – und lebt und arbeitet dann von dort aus. Zuletzt ist Duffner über Brasilien, Argentinien, Chile, Peru und Ecuador durch Südamerika gereist. Sein mittelfristiges Ziel ist es, nach Thailand zu kommen. Neben der deutschen hat er auch die thailändische Staatsbürgerschaft und hat lange dort gelebt. Weil er Flugangst hat, will er von Seattle mit dem Kreuzfahrschiff in Richtung Asien. Immer wieder neue Menschen, neue Orte und Kulturen – das alles fasziniert ihn.

Nicht mit Urlaub verwechseln

Auch wenn er von seinem Arbeitsstil überzeugt ist, Alexander Duffner warnt aber davor, das Dasein als digitaler Nomade mit ewigem Urlaub zu verwechseln. Er selbst arbeitet sechs bis acht Stunden am Tag, Montag bis Freitag – fast wie in einem regulären Beruf. Tourismus verschiebt er auf die Abendstunden oder aufs Wochenende. "Das braucht viel Selbstdisziplin", sagt er. Nur sehr wenig zu arbeiten und davon leben zu können, sei eine Illusion. Auch Florian König denkt, dass es ist eine Herausforderung ist, Arbeit und Reisen auszubalancieren. "Viele sind zu schnell unterwegs", meint er. Dann entstünden entweder auf der Arbeit oder beim Reisen Stress und Frustration.

Für Duffner ist klar, wie das passiert. Viele Menschen nähmen das Unterwegssein als langen Urlaub und nicht als Lebensstil wahr. Das führe dann über kurz oder lang dazu, dass sie zu wenig arbeiteten und irgendwann das Geld aufgebraucht sei. Dagegen könne es helfen, sich auch unterwegs feste Routinen beispielsweise für Arbeitszeit, Essen und Sport anzugewöhnen. Aber Duffner gibt auch zu bedenken, wie anstrengend es sei, sich immer wieder an neue Orte zu gewöhnen, Wohnungen zu suchen und gleichzeitig den Fokus auf die Arbeit nicht zu verlieren.

Die beiden Camper-Nomaden Brandelik und König machen ähnliche Erfahrungen. Auch sie arbeiten mindestens 30 Stunden pro Woche, oft mehr. "Ich kann das trotzdem nicht mit meiner Anstellung vergleichen", meint Marina Brandelik. Dort habe sie oftmals Zeit absitzen müssen, jetzt könne sie sich vollkommen frei einteilen, wann und wie sie arbeite. Außerdem arbeite sie nun endlich mit Spaß.

Gute Vorbereitung ist wichtig

Dahin zu kommen, so unabhängig arbeiten zu können ist nicht einfach. Für viele klingt es wie ein unerreichbarer Traum. Duffner hingegen betont, dass dahinter eher strategische Planung stecke. Von jetzt auf gleich funktioniere ein Leben als digitaler Nomade nur selten, stattdessen will ein ortsunabhängiges Leben und vor allem Einkommen gut vorbereitet sein. König und Brandelik raten ihren Kunden und Kundinnen nebenberuflich anzufangen, Fähigkeiten aufzubauen, mit denen sich in der digitalen Welt Geld verdienen lässt. So bleibt erstmal noch eine gewisse Sicherheit. Viele digitale Nomaden arbeiten in irgendeiner Form mit sozialen Medien. Aber auch Jobs aus der IT-Branche wie Software-Entwicklung oder – wie im Fall von Duffner – Design sind häufig. Florian König ist davon überzeugt, dass es nicht unbedingt eine klassische Ausbildung in einem der Bereiche brauche, um das eigene digitale Business aufzubauen. Das meiste könne man mit genügend Motivation auch anders lernen. "Es braucht nur etwas Durchhaltevermögen und eine gewisse Resilienz dem Scheitern gegenüber", sagt er.

Neben den fachlichen Fähigkeiten für einen Onlineberuf, muss man sich auch auf die bürokratische Dimension des Lebens auf Achse vorbereiten. Wer wie Marina Brandelik und Florian König hauptsächlich in Europa unterwegs ist, muss sich ums Visum keine Gedanken machen. In anderen Ländern ist aber auch für die Fernarbeit ein Visum nötig. Immer mehr Länder wie beispielsweise Brasilien, Ecuador, Namibia oder Malaysia haben darum spezielle Visa für digitale Nomaden eingeführt. Die Länder erhoffen sich durch die Arbeiter aus dem Ausland auch wirtschaftliche Vorteile für sich, schließlich geben die Menschen vor Ort Geld aus. In Medellín kann man schon sehen, was das mit einer Stadt macht. Im bei Ausländern beliebten Stadtviertel El Poblado reihen sich Co-Working-Cafés an hippe Restaurants und Bars mit Speisekarten auf Englisch – das perfekte Ambiente für gutverdienende Ausländer. Aber nicht alle Orte nehmen die digitalen Nomaden so gastfreundlich auf. Alexander Duffner sagt: "In den USA oder Kanada versuche ich aber nicht zu arbeiten". Dort seien die Regeln etwas strikter.

Auch wenn digitale Nomaden oft über ihr Leben schwärmen – viele zieht es irgendwann wieder zu einem festen Wohnsitz, das beobachten zumindest Marina Brandelik und Florian König. Die beiden können sich ebenfalls vorstellen, irgendwann wieder länger an einem Ort zu wohnen. Wann, wissen sie aber noch nicht. Die kommenden zwei bis fünf Jahre wollen sie gerne noch unterwegs sein. Alexander Duffner will nach zehn Jahren unterwegs mal wieder länger an einem Ort bleiben – in Thailand möchte er gerne mindestens ein Jahr verbringen.

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