Rente: "Wer länger arbeitet, stirbt früher"

Autor*innen
David Gutensohn
Mann in Anzug stemmt roten Balken auf seinen Schultern

Menschen, die später in Rente gehen, leben kürzer, zeigt eine neue Studie. Eine Expertin erklärt, für welche Berufe das gilt und wie man sie verändern müsste.

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CDU-Politiker Jens Spahn fordert, die Rente mit 63 abzuschaffen. Die Professorin Han Ye von der Universität Mannheim hat erforscht, wie sich ein späterer Renteneintritt auf die Gesundheit von Menschen auswirkt und wie Menschen besser und dadurch länger arbeiten können.

Laut Ihrer Studie stirbt man früher, je später man in Rente geht. Wieso?

Wir konnten zeigen, dass Menschen, die länger arbeiten, kürzer leben. Wer nicht in den Ruhestand geht, sondern arbeitet, hat in jedem weiteren Arbeitsjahr im Alter von 60 bis 69 Jahren ein um 4,2 Prozentpunkte höheres Sterberisiko. Und zwar im direkten Vergleich zu denjenigen, die früher in Rente gehen.

Han Ye ist Professorin an der Universität Mannheim und hat mit Kolleginnen der Universität Barcelona die Auswirkungen der Rente auf die Gesundheit geforscht.

Wie kommen Sie zu diesem Ergebnis?

Wir haben Sozialversicherungsdaten aus dem spanischen Rentensystem analysiert. Dort müssen Menschen seit einer Reform aus dem Jahr 1967 mit 65 statt 60 Jahren in Rente gehen. Doch es gibt eine Ausnahme: Wer schon vor dem 1. Januar 1967 Beiträge in das Rentensystem eingezahlt hatte, konnte ohne Abzüge freiwillig bereits mit 60 Jahren in den Ruhestand gehen. Für unsere Studie konnten wir uns also Menschen anschauen, die im selben Jahr geboren wurden, aber unterschiedlich lange ins Rentensystem eingezahlt haben und dementsprechend fünf Jahre früher oder später nicht mehr haben arbeiten müssen. Diese Datensammlung hat sich für unsere Analyse besonders gut angeboten.

Ich würde für Deutschland mit denselben Ergebnissen rechnen.
Han Ye

Sind diese Ergebnisse auf Deutschland übertragbar?

Das ist wahrscheinlich möglich, auch wenn natürlich jedes Land andere Voraussetzungen hat. Die letzte große Rentenreform in Deutschland, die Rente mit 63, liegt noch nicht lange genug zurück, um diesen Effekt hierzulande auswerten zu können. Aber ich würde da mit denselben Ergebnissen wie in Spanien rechnen.

Gerade wird in Deutschland debattiert, eben diese Rente mit 63 Jahren abzuschaffen. Was halten Sie davon?

Ich bin Wissenschaftlerin und keine Politikerin, aber ich kann Ihnen sagen, wozu das führen könnte. Die Abschaffung dieser Vorruhestandsoption, also mit 45 Beitragsjahren schon im Alter von 63 Jahren in Rente gehen zu können, hätte negative Auswirkungen auf die Gesundheit. Vor allem für jene, die anstrengende Jobs haben. 

In welchen Berufen stirbt man eher früher? 

Laut unserer Studie sind die Berufe betroffen, in denen es häufig zu Arbeitsunfällen kommt. Also zum Beispiel im Bausektor oder in der Fertigung. Außerdem konnten wir sehen, dass Angestellte früher sterben, die in ihren Jobs psychisch belastet sind und viel Stress haben. Die Arbeitsbedingungen entscheiden also darüber, ob man länger arbeiten kann und wie man das körperlich verkraftet. Gerade in der Altersspanne von 60 bis 65 Jahren, die wir uns für die Studie angeschaut haben, ist das entscheidend. Wichtig ist auch, ob man sich wertgeschätzt fühlt und einen Job hat, den man selbst als sinnstiftend betrachtet. Wer wenig Anerkennung im Job verspürt, ist unzufriedener und stirbt früher, wenn er länger arbeiten muss.

Woher wissen Sie eigentlich, ob die Menschen zufrieden waren in ihren Jobs? Fragen konnten Sie die ja nicht.

Dazu haben wir Daten des US-Arbeitsministeriums genutzt, die für viele Berufe definiert haben, wie Menschen ihren jeweiligen Selbstwert am Arbeitsplatz einschätzen, beruhend auf Erfolgserlebnissen und der Anerkennung, die ihnen widerfährt. Diese sogenannte Arbeitswertklassifizierung ist ein guter Maßstab, um zu zeigen, wie zufrieden Menschen in den jeweiligen Berufen sind.

Umschulungen könnten eine Lösung sein.
Han Ye

Würde das dafürsprechen, Menschen in diesen Berufen früher umzuschulen?

Ja, Umschulungen könnten eine Lösung sein. Wir prüfen das in unserer Studie nicht, aber wir können aus unseren Daten darauf schließen, dass die Weiterbildung von Angestellten ihre Arbeitsbedingungen und damit auch ihre Lebenserwartung verbessern würde. Insbesondere dann, wenn Menschen in körperlich oder geistig belastenden Berufen umgeschult werden. Beispielsweise, wenn der Handwerker in seinen letzten Berufsjahren Aufgaben in der Verwaltung übernimmt. Oder wenn der Bauarbeiter zum Bauleiter aufsteigt und dann weniger hart körperlich arbeitet.

"Menschen haben dann mehr Freizeit und weniger Stress"

Andere Studien zeigen, dass Arbeit geistig fit und den Menschen jung hält. Wie passt das zu Ihren Erkenntnissen?

Ja, einige Studien zeigen, dass auch ein früherer Ruhestand der Gesundheit schaden kann, da für einige Menschen mit der Rente das soziale Netzwerk verloren geht. Andere werden ohne Job körperlich und kognitiv nicht mehr gefordert. Doch in unserer Arbeit zeigen wir, dass diese Menschen nicht früher sterben, wenn sie früher in den Ruhestand gehen. Im Gegenteil, ein früherer Ruhestand kann auch ihre Lebenserwartung verlängern, da Menschen dann mehr Freizeit und weniger Stress haben, was ihre psychische Gesundheit verbessert.

Könnte die Lösung darin bestehen, dass man früher weniger, aber dafür länger arbeitet?

Ja, beispielsweise durch Modelle wie die Teilzeitrente, mit der man in den letzten Jahren vor der Rente bereits weniger arbeitet. Wir konnten in Spanien sehen, dass Menschen, die in Teilzeit schrittweise in Rente gegangen sind, später länger lebten. Wer hingegen nicht in Teilzeitrente gegangen ist, hat eine um 6,8 Prozentpunkte höhere Sterblichkeit.

Man könnte mit einer Viertagewoche im Alter länger arbeiten.
Han Ye

Sollte man nicht besser davor ansetzen und über eine Viertagewoche sprechen? 

In einigen Staaten gibt es bereits Pilotprojekte dazu, beispielsweise in Spanien oder Großbritannien. Diese Versuche zeigen, dass es einen positiven Effekt auf die Gesundheit hat, wenn man etwas weniger arbeitet. Man könnte mit einer Viertagewoche also auch im Alter etwas länger arbeiten. Zumindest dann, wenn die Arbeitsbedingungen dementsprechend angepasst werden.

Wie müssen sie sein?

Arbeitgeber müssten dafür sorgen, dass ihre Beschäftigten nicht so oft ausgebrannt sind und psychische Probleme bekommen. Und die Sicherheit am Arbeitsplatz muss, beispielsweise mit moderner Technik, besser werden, damit es seltener zu Unfällen kommt. Wenn Unternehmen dann auch noch regelmäßige Gesundheitschecks durch Ärztinnen und Ärzte organisieren und psychologische Beratungen anbieten, wäre vielen Menschen geholfen.

Man sollte das Renteneintrittsalter flexibler organisieren.
Han Ye

Aktuell geht man in Deutschland – bis auf Ausnahmen – mit 67 Jahren in Rente. Wie hoch sollte das Renteneintrittsalter sein?

Da kann es keine pauschale Antwort für alle geben. In unserer Studie schlagen wir vor, dass man den Renteneintritt flexibler organisieren sollte. Es gibt Menschen, die können ohne Probleme über das Alter von 67 Jahren hinaus arbeiten. Andere sterben deutlich früher, wenn sie so lange auf die Rente warten müssen. Wenn man sie umschult, kann man einige Jahre gewinnen, aber das wird nicht für alle gehen. Deshalb sollte man das System so anpassen, dass jeder ab einem gewissen Alter nach den eigenen Bedürfnissen in Rente gehen kann. Und zwar anders als jetzt ohne Rentenkürzungen.

Wie lange haben Sie vor, zu arbeiten?

So lange wie möglich. Ich gehöre mit meinem Beruf ja eher in die Kategorie der Menschen, die im Job geistig gefordert, aber nicht körperlich überfordert sind. Ich kann mir gut vorstellen, länger zu arbeiten und nicht mit 67 Jahren in Rente zu gehen, sofern ich gesund bleibe.

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