Bewerbung: Ärgerlicher Schnellschuss
Immer mehr Kandidaten treten einen neuen Job trotz Zweifeln an, berichtet ein Karrierecoach. Den Schaden haben Unternehmen und Bewerber.
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Bernd Slaghuis hat in seiner Kölner Coachingpraxis viele Klienten. Wer ihn aufsucht, steht vor verschiedenen Karrierehürden. Es geht um den nächsten Schritt im Beruf, Gehaltsverhandlungen, Führungs- und Teamprobleme oder berufliche Sinnkrisen.
Die Klientin, die sich kürzlich an ihn wandte, hatte gerade den Vertrag für einen neuen Job unterschrieben. Dass sie zu ihm kam, war für Slaghuis zunächst nichts Ungewöhnliches: Vertragsdetails und Rahmenbedingungen sind für viele ein Anlass, ihn noch einmal als Experten hinzuzuziehen.
Dieser Klientin allerdings lag noch der überstürzte Bewerbungsprozess im Magen: Direkt nach dem zweiten Vorstellungsgespräch, einem halbstündigen Zoom-Call, hatte die Firma ihr das Vertragsangebot gemailt.
Die Frau hatte noch ein zweites Angebot vorliegen, bat deswegen um Bedenkzeit. Doch der Chef in spe drängte zeitlich. Also unterschrieb sie. Das Problem: Ihre Entscheidung war voreilig gewesen – eigentlich war der Job nicht der richtige für sie.
"Wir sprachen dann darüber, was am besten zu ihr passt", erzählt Bernd Slaghuis. "Sie hat den Vertrag ein paar Tage später zurückgezogen." Was ihr im Bewerbungsprozess passiert sei, hält er für "grob fahrlässig – vonseiten der Firma und vonseiten der Bewerberin". Ein Einzelfall sei das für ihn dennoch bei Weitem nicht.
"Jeder Zweite, der sich aktuell an mich wendet, hat einen neuen Job angenommen, der sich als unpassend herausstellt. Eine Welle übereilter Neustarts vor allem bei Berufserfahrenen, die ich so in zwölf Jahren als Coach nicht erlebt habe." Slaghuis hat einen Begriff dafür geprägt: "Blind Signing", das unüberlegte Unterzeichnen eines Arbeitsvertrags.
"Ich wusste von Anfang an, dass es nicht passen wird"
Mit einem Post zu dem Phänomen auf LinkedIn löste Slaghuis ein enormes Echo aus. "Die vielen Rückmeldungen zeigten, jeder kennt gerade jemanden, der sagt: ,Ich wusste von Anfang an, dass es im neuen Job nicht auf Dauer passen wird‘", so der Coach. Sich beruflich häufiger mal neu zu orientieren sei normal. "Doch gerade geht das mit viel ungesunder Eile einher."
Pro Woche führt Slaghuis mehrere Beratungsvorgespräche mit neuen Klienten. "Vor Kurzem waren es drei Gespräche hintereinander, in denen mir jemand sagte: ,Ich habe trotz schlechtem Grundgefühl einen neuen Job angetreten und muss da wieder raus.‘"
Jeder von ihnen wollte im Coaching einen Plan entwickeln, um nicht noch einmal in diese Falle zu tappen. Denn Blind Signing hat ernste Folgen. Wer eine neue Stelle antritt, obwohl er schon weiß, dass er sich dort nicht lange halten wird, startet unzufrieden – und kündigt oft noch in der Probezeit. Das macht auch Chefs und Teams zu schaffen.
"Neu ist dabei aber noch etwas", sagt Slaghuis. "Das hastige und vorschnelle Handeln gegenüber Bewerbern zeigen auch viele Recruiter. Da ist viel ungesunder Druck im Kessel."
2021 zeigte eine Flut freiwilliger Kündigungen von Menschen in den USA und in Europa – die "Great Resignation" – dass viele Menschen ihre berufliche Situation auf den Prüfstand stellen. Dazu kommt ein neuer Realismus, der sich auf dem Arbeitsmarkt zeigt: Überstunden und einer "Extrameile" für den Job erteilen viele Berufstätige mittlerweile eine klare Absage, stattdessen wird Wert auf eine gute Work-Life-Balance und Sinnhaftigkeit im Beruf gelegt.
Gleichzeitig steige aber auch das individuelle Bedürfnis nach Sicherheit, sagt Coach Slaghuis. "Geht es um den Jobwechsel oder die Situation nach einer Kündigung, auch durch den Arbeitgeber, höre ich oft: ,Ich darf nicht wählerisch sein, wer weiß, ob ich so schnell noch etwas finde.‘"
Diese Einstellung schüre Unentschlossenheit und Sorge. Krisen, Krieg und Rezession verschärften die Unsicherheit noch. Und auch aufseiten der Personaler herrsche Unsicherheit, die teilweise zu Hektik führe: Der Fach- und Führungskräftemangel setze Recruiter unter Zugzwang.
"Während Bewerber dazu neigen, das erstbeste Angebot anzunehmen, um vermeintlich auf Nummer sicher zu gehen, üben einige Recruiter ungesunden Druck aus, wollen Stellen umgehend besetzt sehen." Eine Panik mit Folgen: Sie trübt den klaren Blick – und kostet Unternehmen Geld, wenn gerade eingestellte Talente nach kurzer Zeit wieder hinschmeißen.
Slaghuis meint: Gerade Bewerber sollten sich ihrer komfortablen Situation auf dem derzeitigen Arbeitsmarkt bewusst werden – und besonnener handeln. "Die Zeit zwischen zwei Jobs ist gut für ein Update, in der man sich selbst reflektiert und festlegt, was in den nächsten Jahren im Job wirklich zählt." Es dürfe ruhig Zeit in Anspruch nehmen, sich die folgenden Fragen zu beantworten: Was sollte ein neuer Job mir bieten? Was will ich, was nicht mehr?
Gerade für erfahrene Kräfte sind die Jobperspektiven besser denn je. "Ich erlebe viele in ihren Vierzigern oder Fünfzigern, die ein enormes Fachwissen besitzen, aber kein Gefühl für ihren eigenen Wert." Es fehle der realistische Blick auf die eigenen Chancen.
"Einige Menschen kommen aus vielen Jahren gut bezahlter Unterforderung und Langeweile zu mir", sagt Bernd Slaghuis. Feedback durch den Chef? Motivation? Beides habe ihnen oft lange Zeit gefehlt. "So verlieren Menschen das Gespür dafür, was sie wirklich können."
Die Folge: falsche Bescheidenheit und Zurückhaltung im Bewerbungsgespräch. Dabei sei das der falsche Weg. "Bewerber dürfen und sollten viel und kritisch fragen, um eine Entscheidung fundiert treffen zu können", rät Slaghuis. Wer zeigt, dass er über das nachdenkt, was eine neue Stelle bieten sollte, und nicht alles schluckt, kommt beim potenziellen neuen Arbeitgeber selbstbewusst rüber – und steigert seinen Wert.
Auch wer ein Angebot ablehnt, stellt sich dadurch nicht schlechter. "Das zeugt von Reflektiertheit und ist ein Zeichen von Stärke", sagt Slaghuis. Mitunter kommen Arbeitgeber später erneut auf einen vielversprechenden Bewerber zu – mit einem neuen Angebot, das besser passt.
"Einen angsterfüllten Bittsteller, der brav alles abnickt, wünscht sich doch niemand mehr", sagt der Coach. Recruiter, die Bewerber unkritisch zu einer Entscheidung drängen, ohne ihnen Bedenkzeit zu gewähren, erweckten allerdings genau diesen Eindruck. Bewerber sollten also nicht blind darauf vertrauen, dass ein künftiger Arbeitgeber mit einem Vertragsangebot genau ins Schwarze trifft und ihre Wünsche und Bedürfnisse erfüllt. Genug Zeit zu haben, über ein Jobangebot nachzudenken, sei in erster Linie eines: Selbstschutz.
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