Die Karrierefrage: Wie stoppe ich kontrollwütige Chefs?

Autor*innen
Selma Schmitt
Drei Personen stehen nebeinander. Ihre Köpfe sind durch gekritzelte Linien ersetzt, die jeweils an einem Finger der Hand anfangen, die über ihnen schwebt.

Führung braucht klare Regeln – aber nicht zu viele. Regiert der Chef kleinteilig in die Aufgaben hinein, kann das ganz schön nerven. Doch es gibt Möglichkeiten, sich zu wehren.

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Viele Menschen hatten schon mal einen Chef, der niemandem vertraut und jeden Arbeitsschritt überwacht: der Typ Mikromanager. Auch Reed Hastings war nach eigenem Bekenntnis selbst so einer. Er ist Gründer und Geschäftsführer des Videostreaminganbieters Netflix. Als er in den 1990er Jahren sein erstes Start-up führte, die Firma Pure Software, da waren "Verfahren und Kontrollmechanismen ein fester Bestandteil unserer Arbeit", schreibt der Manager selbstkritisch in seinem Buch "No rules rule".

Das amerikanische Softwareunternehmen wuchs rasant, und je mehr Leute dazukamen, desto mehr hatte Hastings das Gefühl, alles regeln und steuern zu müssen. "Wann immer etwas geschah, führte ich einen Prozess ein, damit sich ein Fehler nicht wiederholt", sagt Hastings. Die Folge: Unangepasste, kreative Angestellte fühlten sich gegängelt und wanderten ab, nur der Rest blieb. Das Unternehmen verlor seine "Fähigkeit zur raschen Innovation", analysiert der Manager im Rückblick.

Mit seiner Angst davor, die Kontrolle abzugeben und seinen Mitarbeitern zu vertrauen, ist Hastings nicht allein. Mehr als drei Viertel der deutschen und österreichischen Führungskräfte denken, dass Führung ohne regelmäßige Kontrolle der Mitarbeiter nicht funktioniert, zeigt eine Umfrage des Hernstein Instituts für Management und Leadership aus dem Jahr 2020. Bei Hastings äußerte sich der Kontrollzwang in immer neuen Regelwerken. Als etwa ein Mitarbeiter für ein Geschäftsessen ein 700-Dollar-Hotelzimmer buchte, sprach Hastings nicht einfach mit dem Mann. Er führte stattdessen als Reaktion eine allgemeine Obergrenze für Reisekosten ein. Und als der Hund einer Angestellten einen Teppich zerbissen hatte, verfügte Hastings, dass alle Hundehalter fortan eine gesonderte Genehmigung brauchten, um ihre Lieblinge mitzubringen.

Alles dokumentieren, über jeden Schritt informieren

Manchmal geht Mikromanagement noch weiter. Mitarbeiter müssen dann alles dokumentieren, was sie tun, weil ihre Führungskraft über jeden Schritt informiert werden will. Sie dürfen nichts mehr allein entscheiden. Selbst wenn ein Chef sehr viel selbst erledigt und wenig delegiert, kann das ein Zeichen für Mikromanagement sein.

Kontrollzwang ist oft ein Zeichen von Unsicherheit: "Mikromanagement kann viele Ursachen haben, die oft in der Persönlichkeit der Führungskraft begründet sind. Erfahrungsgemäß ist dieses Verhalten häufiger bei Führungskräften zu beobachten, die neu in ihrer Rolle sind", sagt Kathrin Rehbein, Hamburger Coachin für Führungskräfte. "Sie sind unsicher, welche Aufgaben zur neuen Rolle gehören, und konzentrieren sich daher auf das operative Tagesgeschäft. Hinzu kommt, dass sie noch nicht verinnerlicht haben, ihrem Team zu vertrauen."

Stattdessen lassen sie alles über den eigenen Tisch gehen oder machen es gleich selbst – ein einfacher Weg, die fehlende Sicherheit wiederzugewinnen. Die Corona-Pandemie hat die Situation zunächst tendenziell verschärft: "Jahrelang war Homeoffice ein ungeliebtes Thema in vielen Unternehmen", sagt die Coachin. "Viele Führungskräfte haben dadurch einen Kontrollverlust erlebt und mussten erst lernen, ihre Teams auf Distanz zu führen." Einige Chefs haben dann begonnen, ihren Angestellten zu vertrauen – weil sie gemerkt haben, dass es auch ohne Kontrolle gut funktioniert. Andere holen ihre Teams jetzt zurück in die Büros und verfallen wieder in alte Rollenmuster.

Kontrolle führt kurzfristig zum Erfolg

Es ist ja auch verlockend, denn die Kontrolle führt zumindest kurzfristig oft zum Erfolg. Langfristig sorgt sie aber für schlechte Stimmung. Wenn die Chefin jede E-Mail kontrolliert und ihr Team nichts mehr selbständig entscheiden darf, endet das höchstwahrscheinlich nicht nur bei ihr selbst im Burn-out, sondern es erstickt auch jede Motivation bei den Mitarbeitern. "Unter so einer Führungskraft haben viele Angst davor, Fehler zu machen, und wollen keine Verantwortung mehr übernehmen", sagt Rehbein. Insbesondere jungen Menschen sei es aber wichtig, selbständig und vertrauensbasiert zu arbeiten. Je länger das Kontrollregime anhält, umso mehr verändert sich die Unternehmenskultur. Aus Angst vor Fehlern wagt niemand mehr etwas Neues. "Kreative Köpfe, denen Freiheit und Selbstbestimmung wichtig ist, wandern langfristig ab", sagt Ute Bölke, Karriereberaterin aus Wiesbaden.

Wer einer kontrollwütigen Führungskraft unterstellt ist, kann zunächst selbst versuchen, etwas an dem zwanghaften Verhalten des Vorgesetzten zu ändern. Der erste Schritt: Analysieren, wann es zu Mikromanagement kommt, sagt Karriereberaterin Bölke. Kann die Führungskraft nur bei bestimmten Mitarbeitern nicht abgeben? Tritt das Verhalten besonders bei unbekannten Aufgaben auf? Oder sind es immer die Jobs, die später noch über den Tisch der nächsthöheren Führungskraft gehen?

Wer die Gründe für den Zwang herausfindet, kann sie schneller aus dem Weg räumen. "Da lohnt sich auch ein Blick auf die eigene Motivation", sagt Bölke. Manchmal gibt es bestimmte Verhaltensweisen, auf die man selbst empfindlich reagiert, die aber eigentlich gar nicht übergriffig sind. "Anschließend sollten Angestellte das Verhalten direkt in der Situation ansprechen", sagt Bölke.

Den Spieß mal umdrehen

Fragt die Führungskraft zum Beispiel vier Wochen vor Abgabe nach dem Stand des Projektes, könnte man als Mitarbeiter beispielsweise sagen: Es wundert mich, dass du mich heute schon fragst, das Projekt soll doch erst in vier Wochen fertig sein. Habe ich etwas falsch verstanden, oder brauchte ich noch Informationen von dir? "Häuft sich das Verhalten dennoch, sollten Mitarbeitende einen gesonderten Termin vereinbaren", rät die Karriereberaterin. Dabei sollten Angestellte ihrem Chef aber keine Vorwürfe machen und nur die eigene Wahrnehmung schildern. "Zusätzlich können sie eigene Vorschläge machen, um die Situation künftig zu vermeiden", sagt die Expertin. Zum Beispiel kann ein wöchentliches Meeting zum Projektstatus die täglichen Kontrollanrufe ersetzen.

Finden solche Versuche keine Resonanz, hat Coachin Rehbein einen Tipp parat: "Drehen Sie den Spieß doch einfach mal um." Eine von ihr begleitete junge Führungskraft beklagte sich über tägliche Kontrollanrufe ihres Vorgesetzten morgens um acht. Als mehrere Gespräche nicht halfen, schaltet der Betroffene auf einen Trick um. Er meldete sich von da an jeden Morgen um kurz vor acht selbst mit irgendeinem Anliegen bei seinem Chef.

Nach einiger Zeit hörten die Kontrollanrufe auf. "Durch das Verhalten hatte die Führungskraft begriffen, dass sie ihrem Mitarbeiter vertrauen kann", sagt Rehbein. Angestellte können in solchen Fällen auch den Vorgesetzten ihres Vorgesetzten ansprechen, den Betriebsrat oder die Personalabteilung. "Das hilft aber nicht überall", warnt die Expertin. "Manche Vorgesetzte werten die Beschwerde als persönlichen Angriff und reagieren nachtragend." Vielleicht veranstaltet der Arbeitgeber ja demnächst eine anonyme Mitarbeiterbefragung. Dabei sollten die Opfer von Mikromanagern dann möglichst drastisches und konkretes Feedback geben. Viele Personalverantwortliche nehmen solche Befragungen sehr ernst.

Schon im Bewerbungsprozess auf Signale achten

Stellt sich trotz allem keine Besserung ein oder hat der Kontrollwahn schon auf die Unternehmenskultur abgefärbt, ist es Zeit, die Abteilung zu wechseln oder den Rückzug einzuleiten. "Es heißt immer: Mitarbeitende, die kündigen, verlassen nicht ein Unternehmen, sondern die Führungskraft", sagt Rehbein. "Das erlebe ich auch häufiger in Coachings." Für sie ist klar: Wenn der Führungsstil dazu führt, dass das Selbstbewusstsein der Mitarbeiter schwindet, dass sie tägliche Probleme mit nach Hause nehmen und sogar schlecht schlafen, bleibt eine Kündigung oft der letzte Ausweg.

Damit sie beim nächsten Arbeitgeber nicht vom Regen in die Traufe kommen, rät Karrierecoachin Bölke, die Unternehmen vorher im Internet zu prüfen. "Job-Portale geben einen guten Überblick auf die Stimmung." Dabei gilt es, nicht auf einzelne Ausreißer zu schauen, sondern darauf, welchen Tenor die Mehrheit der Bewertungen hat. Im Bewerbungsgespräch selbst empfiehlt Bölke, konkrete Fragen zur Stimmung zu stellen. Wie sieht die Fehlerkultur aus? Wie werden Entscheidungen getroffen? Dann stehen die Chancen besser, dass der nächste Chef kein Kontrollfreak wird.

Denn es gibt sie, die Unternehmen, die ohne strenge Kontrolle funktionieren. Das macht der einstige Mikromanager Reed Hastings mit Netflix vor. Nach dem Verkauf von Pure Software vor 25 Jahren gründete er Netflix – entschlossen, dort vieles anders zu machen. "Ich wollte die Flexibilität fördern, den Mitarbeitern Freiheit geben und Innovation anregen, statt Fehler zu vermeiden und Regeln durchzusetzen", schreibt Hastings in seinem Buch. "Wenn man den Mitarbeitern größere Freiheit gibt, treffen sie bessere Entscheidungen." Regeln gibt es bei ihm angeblich nur zu Reisespesen, Ausgaben und Urlaubszeiten. Und letztere auch nur, weil er sonst befürchtet, dass sich seine Angestellten nicht trauen, freizunehmen.

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