Petra Bock: "Wer immer nur Euphorie erwartet, sollte bei sich selbst ansetzen"

Autor*innen
Rebekka Wiese
Freigestelltes schwarz-weiß-Bild einer bedrückt aussehenden Frau. Der obere Teil ihres Kopfes ist aufgeklappt und im Inneren des Kopfes sind verworrene Linien sichtbar.

Jeder Job hat ätzende Aufgaben, aber davon darf man sich nicht runterziehen lassen. Es gibt zwei wichtige Zahlen und eine Menge guter Tipps, sagt die Coachin Petra Bock.

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Und jetzt noch Rechnungen schreiben. Oder die Buchhaltung machen. Egal, wie viel Spaß der Job macht – es gibt immer Aufgaben, die anstrengend und langweilig zugleich sind. Aber wie viele dürfen das sein? Und wie übersteht man Nerviges, ohne frustriert zu werden? Über solche Fragen spricht Petra Bock in ihren Coachings. Sie berät Leute, die beruflich unzufrieden sind und hilft ihnen, das zu ändern.

Kein Job macht immer nur Spaß. Wie groß darf der Anteil der Arbeit sein, die auch mal nervt?

Es gibt zwei Zahlen, an denen man sich orientieren kann: die 20 und die 80. 20 Prozent der Aufgaben dürfen nerven, solange sich 80 Prozent gut anfühlen. Wobei gut nicht heißen muss, dass man dauernd nur Spaß hat. Es geht um das Gefühl, dass die eigene Arbeit Sinn ergibt. Dass es sich gut anfühlt, dafür morgens aufzustehen, auch wenn nicht immer alles einfach ist. Schließlich verbringen wir mit dem Job einen Großteil unserer produktiven Lebenszeit.

Wovon sind Menschen normalerweise in ihren Jobs genervt?

Petra Bock

... ist Coachin und Managementberaterin. Sie ist Autorin mehrerer Bücher und hat unter anderem die Ratgeber-Reihe “Mindfuck” geschrieben, eine Buchreihe über mentale Selbstsabotage.

Am häufigsten erzählen meine Klientinnen und Klienten davon, dass sie von zwischenmenschlichen Problemen frustriert sind. Sie haben zum Beispiel das Gefühl, nicht wirklich vom Vorgesetzten wahrgenommen zu werden, obwohl sie gute Arbeit leisten – oder die Dinge, die sie erarbeiten, werden nie richtig umgesetzt. Weil es an Personal fehlt, müssen viele Menschen gerade mehr leisten als sonst. Wenn man dann nett sein will und zu allem Ja sagt, ist man schnell überfordert. Auch von ihren Kollegen sind viele genervt. Wenn Leute zusammenarbeiten müssen, die sich nicht gut vertragen, kann das sehr frustrieren. Wenn das zum Dauerzustand wird, sollte man das unbedingt hinterfragen.

Wie macht man das?

Es ist hilfreich, sich die Ursachen klarzumachen: Liegt es am Job selbst? Am Workload? An der Stimmung im Team? Oder liegt es vielleicht sogar an einem selbst und der eigenen Einstellung? Wer immer nur Euphorie erwartet und genervt ist, sobald er sich mal anstrengen muss, sollte bei sich selbst ansetzen. Manche suchen die Schuld immer bei anderen. Dabei kann man sich selbst am besten verändern. Wenn man trotzdem über eine lange Zeit ständig genervt ist, sollte man unbedingt mit Kolleginnen oder Vorgesetzten sprechen, um etwas an der Situation zu ändern.

Und was macht man, wenn man nicht von den Kolleginnen und Kollegen, sondern von der Arbeit selbst genervt ist?

Auch davon höre ich oft. Vor allem wiederkehrende Alltagsaufgaben können nerven: seine Arbeit dokumentieren, Rechnungen schreiben, aufräumen. Gleichzeitig gibt es Menschen, die genau das lieben – das Stetige, Vorhersehbare, Sichere. Manche Leute mögen monotone Tätigkeiten, weil sie sich dabei entspannen. Es ist wichtig, sich um die Aufgaben zu bemühen, die zu einem passen. Eine gute Führungskraft sollte versuchen, die Aufgaben so zu verteilen, dass jeder das bekommt, was zu ihm passt. Wenn sie das nicht tut, bin ich als Arbeitnehmer gefragt, den Anfang zu machen.

Gerade weil sich heute viele Leute aussuchen können, was und wo sie arbeiten, haben sie hohe Erwartungen.
Petra Bock, Coachin

Ist das denn so einfach möglich?

Es ist nicht einfach, aber es ist möglich. Und es kann nur gelingen, wenn man seinen Vorgesetzten ehrlich sagt, was man wirklich gut kann und am liebsten macht. Ich hatte mal eine Klientin, die in einer Verwaltungsabteilung arbeitete. Ein relativ entspannter Job, aber sie fand es furchtbar, den ganzen Tag am Computer zu sitzen. Darüber hat sie mit ihren Vorgesetzten gesprochen, sie konnte daraufhin die Abteilung wechseln. Jetzt arbeitet sie in der Kundenbetreuung. Das ist viel stressiger, aber die Frau genießt es, direkten Kontakt zu anderen Menschen zu haben. Daran sieht man, wie wichtig es ist, auf sich zu hören, wenn man die Freude an der eigenen Arbeit verliert.

Wenn das Verhältnis stimmt, das Sie vorhin beschrieben haben – 80 Prozent machen mir Spaß –, wie schaffe ich es, mich von den 20 Prozent nicht frustrieren zu lassen?

Indem ich mich der Realität stelle und mich selbst als erwachsenen Menschen ernst nehme. Gerade weil sich heute viele Leute aussuchen können, was und wo sie arbeiten, haben sie hohe Erwartungen an den Traumjob. Manche von ihnen tendieren dann dazu, sehr schnell aufzugeben, wenn etwas nicht läuft. Dabei gehören anstrengende Momente dazu – solange es nicht zu viele sind. Das Verhältnis muss stimmen. Deshalb spreche ich ja von den 20 Prozent. Und es gibt auch ein paar Tricks, die es einfacher machen, mit diesem nervenden Anteil umzugehen.

Eine Strategie ist, monotone Aufgaben wie ein Spiel zu betrachten.
Petra Bock, Coachin

Bitte verraten Sie die.

Man kann sich zum einen motivieren, wenn man sich daran erinnert, wofür man das macht. Was wäre der nächste Schritt, der Sie wirklich weiterbringt? Was wollen Sie erreichen? Im Alltag kann man manche Tätigkeiten außerdem im Team rotieren lassen, sodass der Einzelne sich seltener damit herumärgern muss. Eine andere Strategie ist, monotone Aufgaben wie ein Spiel zu betrachten. Dann kann man sich den Wecker stellen und sich vornehmen, eine bestimmte Anzahl von Dingen in einer knappen Zeit zu erledigen – also möglichst schnell! Das hilft auch, wenn man eine besonders große Aufgabe vor sich hat. Die sollte man in Zwischenschritte zerlegen, damit sie nicht mehr so groß wirkt. Wissen Sie, wie man einen Elefanten isst?

Wie bitte?

Stück für Stück. Das ist ein Spruch, an dem viel Wahres ist. Viele Leute denken, dass man große Aufgaben am besten auf einmal wegarbeitet. Das ist Unsinn. Man kann jede Aufgabe so einteilen, dass sie machbar wird. So ist das mit dem Elefanten gemeint. Es ist wichtig, Ressourcen realistisch einzusetzen, klug zu planen und im eigenen Tempo zu arbeiten. Es hilft natürlich auch, dabei eine nette Atmosphäre zu schaffen. Manche Leute hören ihre Lieblingsmusik, während sie Rechnungen schreiben oder trinken einen guten Kaffee dazu. Und wenn das Privatleben spannend und erfüllt ist, beißt man sich auch besser durch berufliche Phasen, die anstrengend sind. Niemand arbeitet besser als ein glücklicher Mensch.

"Meistens spürt man schnell, wenn Frust chronisch wird"

Wie lange muss ich eine frustige Phase durchhalten, bevor ich etwas ändere?

Das ist sehr individuell – es können in wirklich herausfordernden Phasen mehrere Wochen oder Monate sein. Manche merken aber auch nach 14 Tagen, dass es ein dauerhaftes Problem gibt. Meistens spürt man schnell, wenn Frust chronisch wird und über das hinausgeht, was man sonst als Herausforderung sehen würde. Wenn man sich jeden Montag fragt, wie lange die Woche noch dauert, ist das ein Warnzeichen, das man ernst nehmen sollte. Ein guter Indikator ist auch, wie neugierig man ist. Wenn das im Job völlig verschwindet, wenn man sich nicht mehr dafür interessiert, was man macht, zeigt das, dass etwas nicht stimmt. Oft geht es dann dem Körper auch nicht mehr gut, man ist beispielsweise ständig erkältet oder hat chronische Rückenprobleme. Dann sollte man unbedingt etwas ändern.

Woran kann man festmachen, dass die Arbeit richtig für einen ist?

Es gibt einige Fragen, die man sich immer wieder stellen sollte. Wann fühlt sich Arbeit nicht nach Arbeit an – selbst wenn es anstrengend ist? Wann macht sie richtig Freude und ergibt Sinn, auch wenn nicht immer alles super ist? Wann ist man im Job produktiv? Inhaltlich, menschlich, finanziell? Wann hat man den Eindruck, sich lebendig zu fühlen, mit anderen etwas zu bewegen, sich entwickeln zu können, es zu dürfen? Und was kann man dafür tun, dass es sich so anfühlt? Gerade zu Jahresbeginn ist ein guter Zeitpunkt, sich in Ruhe hinzusetzen und darüber nachzudenken.

Es gibt eine neue Berufsgruppe, die sich immer häufiger coachen lässt: Leute, die in der Pflege arbeiten.
Petra Bock, Coachin

Sich diese Fragen zu stellen, setzt eine gewisse Privilegiertheit voraus. Wer unter prekären Arbeitsbedingungen arbeitet, tut das oft, weil er finanziell darauf angewiesen ist.

Das stimmt – aber in einigen Bereichen ändert sich das gerade. Seit etwa einem Jahr gibt es eine neue Berufsgruppe, die sich immer häufiger coachen lässt: Leute, die in der Pflege arbeiten. Das ist ein ganz starker Trend. Denn weil in allen Bereichen Fachkräfte fehlen, sind weniger Leute gezwungen, die schwierigen Bedingungen in einer Branche auszuhalten. Immer wieder habe ich Menschen vor mir sitzen, die mir erzählen, dass sie es lieben, anderen zu helfen und eine sinnvolle Aufgabe zu haben – aber dass sie nicht mehr in einem überlasteten System arbeiten wollen, das sie krank macht.

Was raten Sie diesen Klientinnen und Klienten?

Das kommt auf die Situation an. Manche bleiben in ihrer Branche, aber wechseln zu Arbeitgebern, die besser zahlen, wo die Stimmung besser ist oder die schlicht einen höheren Personalschlüssel haben. Andere haben sich selbstständig gemacht und ihren eigenen Pflegedienst gegründet. Viele orientieren sich auch beruflich um, einige lassen sich gerade zum Beispiel selbst zur Coachin ausbilden. Gesellschaftlich ist das natürlich ein Problem, denn wir brauchen mehr Menschen im Gesundheitssystem. Aber es zeigt, dass sich das System ändern muss und es nicht funktioniert, wenn die Beschäftigten dauerhaft leiden.

Immer öfter krank zu sein, ist ein Warnzeichen. 
Petra Bock, Coachin

Bei welchen konkreten Anzeichen raten Sie jemandem, den Beruf und sogar die Branche zu verlassen, um etwas ganz anderes zu machen?

Immer öfter krank zu sein, ist ein Warnzeichen. Oder wenn man nachts über lange Zeit nicht schlafen kann, weil man an den Beruf denkt. Wenn einem die Arbeit nicht mehr sinnvoll vorkommt und auch das Gehalt den Frust nicht mehr entschädigt: Dann ist es Zeit, über größere Schritte nachzudenken.

Wenn Sie als Coachin auf Ihre To-do-Liste für diese Woche schauen: Wie groß ist der Anteil nerviger Aufgaben?

Diese Woche ist nichts Nerviges dabei. Das ist aber anders, wenn ich zum Beispiel mit engem Abgabetermin an einem Buch schreibe. An einem Tag eine bestimmte Seitenzahl zu schaffen, ist für mich oft anstrengend. Dann achte ich darauf, meine Pausen und das Leben um die Arbeit herum besonders bewusst zu gestalten. Ich gehe zwischendurch raus zum Laufen und mittags gibt es ein besonders leckeres und gesundes Essen, ich plane Reisen und andere Dinge, auf die ich mich freue. So belohne ich mich selbst für die mühevolle Arbeit. In der Regel habe ich aber das Glück, dass ich besonders nervige Aufgaben abgeben kann. Wenn ich meine Buchhaltung selbst machen müsste, würde ich vermutlich durchdrehen. Zum Glück habe ich in meinem Team eine Mitarbeiterin, die mir das abnimmt – und der das sogar Spaß macht.

Da hilft es, sein eigener Chef, seine eigene Chefin zu sein. Erleichtert das auf Dauer die Arbeit?

Erfahrungsgemäß gilt da auch die 20-80-Regel. Man trägt als selbstständiger arbeitender Mensch die volle Verantwortung, oft nicht nur für sich. Und zugleich ist es einem in jedem Moment möglich, für sich und andere gute Entscheidungen zu treffen.

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