Ehrgeiz im Beruf: Wie viel Ehrgeiz ist gut im Job?

Autor*innen
Astrid Probst
Ein Pfeil zeigt bergauf zu einem Pokal. Zwei Personen sprinten den Pfeil nach oben.

Ehrgeizige Kollegen reden viel, arbeiten immer – und nerven oft. Ehrgeiz war lange der Garant für die Karriere. Nun sind andere Qualitäten wichtig, sagt eine Expertin.

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Die Unternehmensberaterin Svenja Hofert beschäftigt sich mit Personal- und Organisationsentwicklung. Sie hat mehr als 30 Bücher geschrieben – unter anderem darüber, wie Teams effektiv arbeiten. Dabei geht es auch um Ehrgeiz und seine verschiedenen Ausprägungen.

ZEIT ONLINE: Frau Hofert, Ehrgeiz soll die Karriere vorantreiben. Daran glauben einer Studie aus diesem Jahr zufolge auch immer noch viele junge Menschen. Unterscheidet Ehrgeiz die erfolgreichen von den weniger erfolgreichen Menschen?

Svenja Hofert: Eben nicht. Es gibt diese alten Glaubenssätze wie: ohne Fleiß kein Preis. Die sind noch in den Köpfen. Dabei gibt es schon längst Wandel und neue Konzepte wie die Vierstundenwoche oder deep work, also konzentriertes Arbeiten. Es ist da weniger wichtig, wie viele Stunden man arbeitet – was eher für den Ehrgeiz steht –, sondern wie effektiv man ist, also wie viel man schafft.

Svenja Hofert ist Wirtschaftspsychologin. Sie hat auch Geschichte und Sprachwissenschaften studiert und berät hauptberuflich Unternehmen.

ZEIT ONLINE: Gehört Ehrgeiz damit gar nicht mehr zu den Topeigenschaften, die sich Vorgesetzte von ihren Mitarbeitenden wünschen?

Hofert: KI und Digitalisierung verändern die Arbeitswelt völlig. Deshalb sind andere Fähigkeiten – wie die Future Skills der OECD – gefragt. Dazu gehören Kreativität und soziale Kompetenzen wie Einfühlungsvermögen und Kommunikationsfähigkeit. Unternehmen suchen jetzt eher Leute, die richtig schwierige Probleme lösen können. Das sind tendenziell Mitarbeiter, die intrinsisch motiviert sind. Wenn man an Comicfiguren denkt, kann man sagen: Die Unternehmen brauchen jetzt öfter einen Daniel Düsentrieb mit Teamgeist. Einen Erfinder, der herumtüftelt und mit Spaß an Probleme herangeht. Solche Menschen sind zwar auch ehrgeizig, aber sie sind es, weil sie interessiert sind. Jemand, der einfach fleißig seine Arbeit erledigt, ist natürlich auch gefragt, aber vor allem auch im nicht akademischen Bereich, wo das keineswegs selbstverständlich ist.

ZEIT ONLINE: Eine gute Nachricht für die jungen Leute der Gen Z, von der manche behaupten, sie wollten gar nicht mehr wirklich arbeiten, weil sie sich eine Viertagewoche, Homeoffice und mehr Flexibilität wünschen. Fehlt ihnen der Ehrgeiz?

Hofert: Ich bezweifle das. Das hat weniger mit den Generationen zu tun als mit dem Berufseinstieg. Der Organisationspsychologe Lutz von Rosenstiel hat Berufseinsteiger untersucht und sie in drei Gruppen unterteilt: Die Alternativorientierten wünschen sich heute oft so etwas wie die Viertagewoche. Aber es gibt nach wie vor auch die klassisch Karriereorientierten. Und als Drittes die Sicherheitsorientierten, denen ein fester Job mit gutem Gehalt wichtig ist. Daran hat sich nichts geändert, Sicherheit scheint sogar wichtiger geworden zu sein.

"Man kann Erfolg auch anders messen als über Verkaufsziele, zum Beispiel anhand von Teamleistung oder an der Weiterempfehlungsrate."
Svenja Hofert

ZEIT ONLINE: Welche Branchen ziehen besonders ehrgeizige Menschen an?

Hofert: Sie gehen dorthin, wo hohe Ansprüche an Leistungen gelten, wo die Einstiegshürden hoch sind und wo Talente sorgfältig ausgesiebt werden. Das gilt eher in großen, bekannten als in kleinen, unbekannten Unternehmen. Und natürlich denkt man jetzt sofort an Unternehmensberatungen, doch auch die verändern sich.

ZEIT ONLINE: In diesen Bereichen wird Leistung oft gemessen und verglichen. Aus Banken kennt man Provisionen, die an Verkäufe geknüpft sind. Fördert das den Ehrgeiz?

Hofert: Nur bei bestimmten Menschen, viele stresst es. Feste Verkaufsziele können Mitarbeitende dazu bringen, Kunden Produkte zu verkaufen, die für sie eigentlich unpassend sind. Nur damit die Mitarbeitenden ihre Ziele erreichen. Das ist dauerhaft kontraproduktiv: Wenn Kundinnen es merken, haben sie kein Vertrauen mehr in das Unternehmen. Man kann Erfolg auch anders messen, zum Beispiel anhand von Teamleistung oder am Net Promoter Score, der Weiterempfehlungsrate. Ein rein auf kurzfristige Ergebnisse angelegter Führungsstil kann an den Menschen und ihren Bedürfnissen vorbeigehen. Die Leute verlassen heute schneller Unternehmen, wenn es ihnen dort nicht mehr gefällt. Am Ende gehen die meisten nicht wegen des Unternehmens, sondern wegen ihrer Führungskraft. Gute Chefs setzen auf Menschlichkeit – und Leistung. Sie versuchen, Mitarbeitende ans Unternehmen zu binden, sie zu fördern und sie dadurch zu motivieren statt über Belohnungssysteme.

ZEIT ONLINE: In fast jedem Team gibt es diesen einen Kollegen, der ständig in Konferenzen spricht und sich für jedes Projekt meldet. Viele nervt das irgendwann nur noch.

Hofert: Es wäre aber schade, wenn Leistungsträger sich abwärts orientieren, weil andere sie zu anstrengend finden. Jeder hat sein eigenes Tempo, das muss man anerkennen. Außerdem ist es natürlich, dass man in bestimmten Lebensphasen ehrgeiziger ist als in anderen, etwa am Anfang einer Karriere. Wer sich im Team etabliert hat, achtet vielleicht etwas mehr auf die Work-Life-Balance. Aber es stimmt schon: Auch manche meiner Klientinnen und Klienten erzählen, dass ihr Ehrgeiz im Team als nervig empfunden wird. Ich hatte einen Workshop bei einer großen Firma und danach sagte jemand: Ich bin engagiert in diesen Job gestartet. Dann habe ich gemerkt, dass meine Ambition gar nicht gefragt ist. Etwa, dass ich etwas verändern will. Die schreiben das zwar auf ihre Webseite und in die Stellenanzeigen, aber wenn ich danach handle, werde ich dafür bestraft. Wenn es so läuft, kündigen ehrgeizige Menschen innerlich oder äußerlich, weil sie ihre Fähigkeiten nicht einbringen können.

"Wenn die fleißigen Babyboomer gehen, dann gehen gefühlt oft zwei, erzählen mir sehr viele Führungskräfte."
Svenja Hofert

Hofert: Mit innerlich meine ich Quiet Quitting: Dann mache ich meinen Job entsprechend der Anforderungen – aber ich mache nichts darüber hinaus. Ich bin nicht bereit, den Laden um jeden Preis aufrechtzuerhalten. Das zeigt sich gerade immer öfter. Wenn die fleißigen Babyboomer gehen, dann gehen gefühlt oft zwei Leute, erzählen mir sehr viele Führungskräfte. Das ergibt dicke Lücken. Bei der äußerlichen Kündigung denke ich daran, dass die Bereitschaft, tatsächlich zu wechseln, heute groß ist.

ZEIT ONLINE: Welchen Tipp haben Sie, wenn man sich in dieser Beschreibung des nervenden, übermotivierten Kollegen wiederfindet?

Hofert: Ehrgeizige Menschen müssen sich nicht zügeln – sofern sie ambitioniert sind. Wer allerdings nur ehrgeizig ist, um Anerkennung von Vorgesetzten einzuheimsen, sollte hinterfragen, ob er damit nicht Unsicherheiten oder ein geringes Selbstwertgefühl kompensiert. Grundsätzlich sollte das Umfeld so gestaltet sein, dass man positiven Ehrgeiz auch ausleben kann. Jedes Team bildet als Ganzes eine eigene Persönlichkeit aus. Es ist ehrgeizig und zielorientiert – oder eben nicht. Ist eine Person ehrgeiziger als das Umfeld, führt das oft zu Konflikten. Im Team sollte man darüber sprechen und überlegen, wie man die Stärken der Einzelnen einbinden kann.

ZEIT ONLINE: Wie grenzt man sich als weniger ehrgeizige Person von Kollegen ab, um dem Druck zu entgehen, mithalten zu müssen?

Hofert: Da hilft es, sich die eigenen Stärken bewusst zu machen. Dabei sollte einem klar sein, dass jede Stärke auch eine Kehrseite hat: Wer mehr auf Details achtet, ist typischerweise langsamer. Wer schnell und aktiv ist, übersieht tendenziell Details. Um Stärken bei sich und anderen anzuerkennen, muss man selbstbewusst sein. Und man muss eine Chefin haben, die das ganze Team und die unterschiedlichen Arten zu arbeiten wahrnimmt und anerkennt. Teams können unterschiedlichen Leistungstypen entsprechen. Beim Achterrudern müssen alle gleich mitziehen. In einer Rennradmannschaft kann es Unterschiede geben: Die einen reichen das Wasser an, die anderen fahren das Rennen. Aber es braucht alle. Führungskräfte sollten wissen, ob sie in ihrem Team eher gleiche oder unterschiedliche Stärken brauchen.

ZEIT ONLINE: Warum reagieren viele so missgünstig ehrgeizigen Menschen gegenüber?

Hofert: Weil sie aus der Herde ausscheren. Gruppen haben bestimmte ungeschriebene Normen und in vielen Gruppen gilt die Norm, kein Streber zu sein. Es ist wichtig, sich im Team darüber zu unterhalten und zu fragen, welchen Sinn diese Normen haben. Warum finde ich es doof, wenn sich jemand mehr reinhängt? Und warum ärgere ich mich gleichzeitig, wenn jemand immer pünktlich nach Hause geht?

"Ehrgeiz gilt als männliche Eigenschaft, als karriererelevant. Bei einer Frau wird er eher als unangenehm empfunden."
Svenja Hofert

ZEIT ONLINE: Weil der eine die anderen unter Druck setzt – und der andere womöglich vom Engagement seiner Kolleginnen profitiert?

Hofert: Genau. Wir sollten uns aber darüber klar sein, dass ein gewisser Druck auch positiv sein kann. Und umgekehrt: dass derjenige, der früher geht, auch ein Zeichen setzt. Am Ende entscheidet das Ergebnis.

ZEIT ONLINE: Vor allem ehrgeizige Frauen gelten anders als Männer oft als anstrengend.

Hofert: Ja, Ehrgeiz gilt als männliche Eigenschaft, als karriererelevant. Bei einer Frau wird er eher als unangenehm empfunden. Aber Frauen sollten sich bestenfalls gar nicht damit beschäftigen, was andere über ihre Ambitionen sagen. Es gibt allerdings noch eine andere Art Ehrgeiz, die ich häufiger bei Frauen beobachte: Sie arbeiten eher unauffällig, aber besonders fleißig im Bienchenmodus alles ab und halten anderen so den Rücken frei. Sie fordern nichts und setzen keine Grenzen. Das ist höchst ungesund.

ZEIT ONLINE: Woran liegt das?

Hofert: Zum einen an der Sozialisierung. Und Frauen sind eher sachorientiert, viele von ihnen mögen politische Spielchen nicht. Sie sind manchmal weniger egoistisch und investieren eher ins Team.

ZEIT ONLINE: Sie selbst wirken recht ehrgeizig. Sie haben mehr als 30 Bücher geschrieben.

Hofert: Dabei bin ich in vielen Dingen faul. Andere sagen über mich, dass ich sehr viel mache und vorantreibe, das hat bei mir aber mehr mit Motivation zu tun als mit Ehrgeiz. Ich bin sehr neugierig und mag keine Langeweile. Das treibt mich an. Die Frage ist immer: Woher kommt der Ehrgeiz? Aus der Person heraus, also intrinsisch, oder sind es äußere Einflüsse? Ich kenne Menschen, die hängen sich rein, weil sie Spaß an etwas haben. Und andere, weil sie vom Chef gelobt werden wollen. Ich beobachte, dass Leute im Studium fleißig für ihre Einsen gelernt haben, aber alles schleifen lassen, sobald solche Belohnungen fehlen. In dem Fall lernen sie fürs Außen. Die Leistung ist weg, wenn keiner mehr hinguckt. Und dann gibt es wiederum die Daniel Düsentriebs, die lernen aus Interesse. Im Zweifel studieren sie länger und Noten sind ihnen nicht so wichtig.

"Bei unsicheren Menschen kommt Lob gar nicht an, weil sie denken: Ich bin nicht gut genug – egal, was ich tue."
Svenja Hofert

ZEIT ONLINE: Es heißt, dass ehrgeizige Menschen tendenziell ein geringeres Selbstwertgefühl haben.

Hofert: Das betrifft sicher nicht alle, aber einen großen Teil. Das Selbstwertgefühl wird stark dadurch geprägt, wie andere uns wahrnehmen. Ich habe mich viel mit dem insecure overachiever befasst. Das sind Menschen, die unsicher sind, zum Perfektionismus neigen und deshalb nach außen hin übertrieben ehrgeizig wirken. Bei ihnen kommt Lob gar nicht an, weil sie denken: Ich bin nicht gut genug – egal, was ich tue. Deshalb sind sie immer noch mal fleißiger.

ZEIT ONLINE: Wann kippt Ehrgeiz in Verbissenheit?

Hofert: Generell kann Ehrgeiz mit verschiedenen Persönlichkeitsmerkmalen zusammenkommen, mit starkem Egoismus etwa. Solche Leute verkaufen auch mal die Ideen anderer als die eigenen. Neigen Menschen zu zwanghaftem Verhalten, wirken sie oft penibel und übergenau, teilweise kontrollierend. Dann kann der Ehrgeiz auch ungesund sein, für die Leute selbst und für andere. Viele Menschen sind so getrieben, dass sie gar nicht mehr loslassen können. Das kann zu Burn-out führen.

ZEIT ONLINE: Haben Sie einen Erste-Hilfe-Tipp für jemanden, der in diese Ehrgeizfalle geraten ist?

Hofert: Erst mal sollte man sich Auszeiten nehmen. Immer mal wieder runterfahren, nicht nur für die Arbeit leben, sondern auch Freunde treffen, sich Freizeit nehmen, in die Natur gehen. Da hilft es, ins Grüne zu schauen oder sich handwerklich zu betätigen. Jedenfalls sollte man die automatischen Gedanken stoppen und sich bewusst auf anderes konzentrieren. Sich fragen: Was passiert da in mir? Und warum? Die Ursachen findet man meistens in der Familie und in der eigenen Sozialisierung, also in dem Gerüst, das einem sagt, wie man zu sein hat. Um da rauszukommen, braucht es manchmal die Hilfe eines Coaches und bisweilen auch Therapie.

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