Sneaker statt Anzugsschuhe: Was man in deutschen Büros anziehen kann – und was nicht

Autor*innen
Martina Propson-Hauck
Ein Mann steht und anstelle eines Kopfes wächst eine Blume nach oben

Der Anzug als Heiligtum in Banken? Das ist vorbei. Heute tragen Mitarbeiter Poloshirts statt Hemd und Krawatte. Doch die neue Mode-Freiheit hat Grenzen.

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"Wer morgens durch die Frankfurter Innenstadt flaniert, stellt fest, dass der formelle Dresscode mit Anzug, Krawatte und Kostüm deutlich seltener anzutreffen und einem modernen Business-Look mit Sakko, Hemd und Chino gewichen ist." So beschreibt Andreas Rose seine Eindrücke vom neuen Büro-Look am Main. Rose beobachtet das Treiben in Frankfurts Banken- und Einkaufsmeilen nicht rein zufällig, sondern aus beruflichen Gründen ganz genau. Er hilft als Personal Shopper und Stilcoach seinen Kunden Tag für Tag dabei, die richtige Kleidung für das Büro zu finden. Der Frankfurter Einkaufsberater ist seit mehr als 30 Jahren in der Branche und berichtet in seinem Style-Blog regelmäßig über die Trends der internationalen Modeszene.

Heinrich Schlomann beschäftigt sich beruflich nicht mit Mode, sondern mit den internationalen Kapitalmärkten. Er ist Direktor und Projektleiter bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), einer der führenden Förderbanken der Welt mit Hauptsitz in Frankfurt und mit mehr als 6.000 Beschäftigten. "Corona hat für die Kleidung im Büro eine echte Zäsur bedeutet. Vorher gab es ja schon einen schleichenden Prozess, etwa mit dem Casual Friday, an dem man die Krawatte abgelegt hat. Das wurde in den Banken allerdings oft eher gebilligt als unbedingt gefördert."

Corona verändert Dresscode

Während der Pandemie mit ihren langen Homeoffice-Phasen sei aber auch der Vorstand der Bank plötzlich dazu übergegangen, keine Krawatte mehr zu tragen. "Also haben auch alle anderen sie abgelegt. Teilweise kommt man noch im Anzug, mehr als die Hälfte der Mitarbeiter aber trägt in diesem Sommer Poloshirt und ordentliche Jeans oder Chinos." Banken haben ihren Dresscode seiner Beobachtung nach gewandelt: "Der Anzug war dort ja immer so ein Heiligtum."

Parallel zur legereren Kleidung habe sich auch das "Du" in der Anrede unter Kollegen verbreitet. Allerdings gebe es auch schon wieder eine leichte Umkehrtendenz. "Seit dem vergangenen Jahr haben wir einen neuen Vorstandsvorsitzenden, der trägt wieder Krawatte", sagt Schlomann. In der Tat: Von KfW-Chef Stefan Wintels sind nur wenige Bilder ohne Schlips zu finden. Beim Rest der Belegschaft seien es weniger als zehn Prozent, die mit Krawatte ins Office kämen. "Sollte jemals wieder ein Büroalltag mit einer Fünftagewoche in Büropräsenz eintreten, wird sich laut Experten manche Firma auf eine Casual Week statt eines Casual Friday einstellen müssen", prognostiziert dagegen Rose.

Poloshirt und Chino statt Anzug und Krawatte

Schlomann berichtet, er selbst habe vor Corona von Montag bis Donnerstag immer Anzug und Krawatte getragen, freitags kam auch er zunehmend etwas legerer. "Als mich ein Mitarbeiter das erste Mal im Poloshirt gesehen hat, rief er aus: 'Jetzt kommt die Revolution!'" Dabei habe er Anzug und Krawatte nie als Zwang empfunden, sondern eher als Dienstkleidung. Ein Dresscode sei ja keine strikte Vorgabe, sondern eine Art Gruppenzwang, dem man sich anpasse. Im Homeoffice trägt niemand freiwillig Krawatte. "Wenn ich aber selbst als Kunde zu einer Bank gehe, erwarte ich eigentlich, dass mir da nicht jemand in Jeans und T-Shirt gegenübersteht. Da würde ich mich schon fragen, ob der überhaupt kompetent ist", gibt Schlomann zu bedenken. Die KfW selbst hat dieses Problem nicht: Sie ist keine Filialbank mit Privatkundenkontakt.

Den Wandel im Äußeren demonstrieren auch jüngere Mitarbeiter, die im Sommer mit hochgerollten Hemdärmeln oder Poloshirt ihre Tätowierungen ungehemmt zur Schau stellen, was vor einiger Zeit noch ein großes Tabu in Banken gewesen sei. "Wenn ich in einem Bewerbungsgespräch zwei gleich qualifizierte Bewerber vor mir sitzen hätte, einen mit, einen ohne Tätowierung, würde ich mich immer noch für den ohne Tattoo entscheiden", sagt Schlomann. Bei besserer Qualifikation wäre ein Tattoo aber für ihn kein Einstellungshemmnis.

Auch für Andreas Rose sind Tattoos längst schon kein Karrierekiller mehr. "Inzwischen haben auch Bürgerliche ihr Tintenherz entdeckt, vom Arzt bis zur Rentnerin." Tätowierungen symbolisierten längst nicht mehr Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, wie Seefahrer, Motorradgang oder Gefängnisinsasse. Sie seien Ausdruck von Individualität, zeigt eine Studie der Ruhr-Universität Bochum. "Doch wenn jeder auf die gleiche Weise individuell sein will, wird das schnell zur Uniform. Diese Erkenntnis könnte Tattoos langfristig wieder verschwinden lassen."

Doch nicht alles ist erlaubt

Dresscodes werden laut dem Experten immer mehr aufgeweicht oder verlören teilweise an Bedeutung. "Die Mode läuft weiter in Richtung 'anything goes anytime and everywhere', nicht alles ist erlaubt, aber immer mehr." Geht bald also auch die Jogginghose im Büro? "Geblieben ist vom Athleisure-Trend eigentlich nur der Tragekomfort: das Weite, Luftige, Bequeme, Weiche. Stretchstoffe, fließende Materialien, weite Silhouetten und wollene Stoffe mit Jersey-Komfort rückten in den Fokus", so Stilberater Rose. Anwälte in Jogpants und Unternehmensberaterinnen in Leggins und Spaghetti-Top? Beides erscheint ihm nicht mehr ganz utopisch und abwegig. Alles eine Frage des Geschmacks, meint er diplomatisch. Aber: "Nur Fashion-Profis und urbanen Trendsettern nimmt man diesen Look eigentlich ab, weil er schon modische Stilsicherheit und ein gewisses Fingerspitzengefühl erfordert."

Auch wenn der sportliche Schnitt von Sweatpants in edlen Stoffen erscheint oder die Kombination mit einem Blazer einen spannenden Stilbruch erzeugt, wirke das komplette Outfit oft nicht stimmig. "Der Allover-Look kann wiederum schnell nach Fitnessstudio aussehen." Gar nicht gehen laut Rose bei Frauen bauchfreie oder transparente Oberteile sowie schulterfreie Schnitte. "Kurze Hosen und löchrige Jeans bei den Herren wirkten unangemessen, genau wie Flipflops und jede Form von Sandalen."

Eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung BearingPoint hat den Einfluss der zweijährigen Büroabstinenz durch die Corona-Pandemie auf die Kleiderordnung im Unternehmen untersucht. Das Fazit laut Rose: Menschen tun sich schwer damit, einmal gewonnene Freiheiten aufzugeben. Was klar gegen ein Festhalten am alten Dresscode spricht.

Modischer Anpassungsprozess vorstellbar

Viele Angestellte empfänden eine Kleidungsvorschrift als Bevormundung und damit als Motivationsbremse. Bei jungen Bewerbern mit einem niedrigen Einstiegsgehalt habe ein Dresscode zudem auch starke finanzielle Aspekte, so die Studie. Befürworter solcher Vorgaben argumentieren vor allem mit einem möglichen Respektverlust nach innen und einem Imageverlust nach außen. Für sie stehen Anzug und Kostüm für Professionalität und Kompetenz. Denkbar wäre also ein Anpassungsprozess: Je häufiger legere Kleidung in den Anzug-und-Schlips-Branchen zu sehen ist, desto eher werde sie als normal betrachtet.

"Interessant ist ja auch, dass in zwei Jahren Homeoffice die Krawatte weitgehend aus den Kleiderschränken verschwunden ist, sie aber auf den Laufstegen momentan als das zentrale neue Accessoire in der Frauengarderobe gezeigt wird", gibt Rose zu Bedenken. Vielleicht lebe sie irgendwann auch in der Männermode wieder auf und gewinne wieder an Ansehen, wenn sie nur noch für besondere Anlässe getragen werde. Apple-Gründer Steve Jobs und Meta-CEO Mark Zuckerberg prägten das "Oben ohne"-Bild als digitale Erneuerer ja bereits zu Beginn des 21. Jahrhunderts – und damit lange vor der Pandemie.

Wenn Stilberater Andreas Rose für oder mit Menschen für den Beruf einkaufen geht, rät er trotz des Trends zu immer lässigerer Büromode zum klassischen Zweiteiler. "Mit einem gut sitzenden Anzug macht man keinen Fehler. Der Anzug steht für Seriosität und guten Stil. Der Zweireiher ist einer der modischen Aufsteiger der Saison." Modern seien Modelle in sportlich-legerem Look. Zur Anzugjacke ließen sich auch Rollkragenpullover und Chino tragen. Dazu greift er zum klassischen Oberhemd in Weiß. "Nichts ist so edel, weniges so lässig wie ein weißes Hemd." Die weiße Bluse für Frauen habe sich als Pendant zum männlichen Hemd entwickelt. "Simpel, clean, wandelbar." Ein Blazer dazu passe zu Hosen, Röcken, Kleidern, Jeans und verleihe jedem Outfit "Instant-Seriosität." Vor allem der Bleistiftrock mit seiner zeitlosen Ästhetik gilt für ihn als echter "Fashion-Allrounder". Mindestens so wichtig wie die Kleidung: ein akkurater Haarschnitt und manikürte Hände. Wer bei den Farben statt zu dezentem Schwarz oder Grau lieber zu Armygrün, Navyblau oder Bordeauxrot greift, strahlt für ihn Dynamik aus, aber alles Ton in Ton, nicht kunterbunt. Fürs Darüber wählt Rose gerne einen zeitlosen Trenchcoat, der sich für alle Konfektionsgrößen eigne und zu eleganter wie sportlicher Mode gleichermaßen passe.

Außer in der Bankbranche gibt es auch bestimmte Dresscodes etwa in der Frankfurter Verlags- und Kreativszene. Dort dominiert oft Schwarz. Komplett in Schwarz kleidet sich laut Rose, "wer seinen Kopf für Wichtigeres braucht". Schwarz lasse sich fast beliebig kombinieren, wirke seriös, funktional, zeitlos und klassisch. Das mache die Farbe so beliebt und sorge dafür, dass sie Trends und Saisonfarben überdauere und immer eine gute Wahl sei. "Grau und Beige mögen für sich nicht die spannendsten Farben sein, doch lassen sie sich extrem gut kombinieren." Ähnliches gelte für Design und Schnitte: Je klassischer, dezenter und zeitloser sie seien, desto leichter finde sich ein ergänzendes Stück morgens im Kleiderschrank. 

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