Beziehung am Arbeitsplatz: Und das ganze Büro schaut zu
- Daniel Sander

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Das Büro bleibt eine der beliebtesten Partnerbörsen, doch viele Unternehmen setzen für Paare Verhaltensregeln auf. Wie kann eine Beziehung am Arbeitsplatz funktionieren?

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Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 48/2022.
Jutta Boenig hat nichts gegen die Liebe, sie gönnt allen Menschen ihr Glück. Aber sie ist Karriereberaterin, seit 25 Jahren schon, und als solche hat sie gelernt, dass Karriere und Liebe am selben Arbeitsplatz nicht gut zusammen gehen. Nur einmal, sagt sie, habe sie gedacht, dass es klappen könnte, bei der Ärztin und dem Pfleger. So verliebt seien die zwei gewesen, so entschlossen, ihre Beziehung im Krankenhaus transparent zu machen. Um Tratsch vorzubeugen und allen zu zeigen, dass sie ihm keine Vorteile verschaffte, obwohl sie seine Chefin war. "Das fühlte sich anders an als die meisten Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Untergebenen, die ich erlebt habe", sagt Boenig. "Nach einem Paar, das zu Hause gleichberechtigt ist und sich gleichzeitig im Krankenhaus auf unterschiedlichen Hierarchieebenen bewegen kann."
Wenig später saß Boenig mit der Ärztin zusammen, um mit ihr den Wechsel an ein anderes Krankenhaus vorzubereiten.
"Es kam doch so, wie es meistens kommt", sagt sie. "Für die Beziehung war es gruselig, weil sie nach der ersten Verliebtheitsphase das Gefühl hatte, er sei enttäuscht, dass sie ihn in der Klinik wie alle anderen behandelte – und die Kolleginnen und Kollegen waren unruhig, weil sie immer dachten, das könne ja gar nicht einwandfrei laufen." Irgendwann ertrugen sie es beide nicht mehr, das Gerede auf der Station, die Sprüche, Spitzen und das Misstrauen. "Sie haben festgestellt, dass harmonische Zusammenarbeit und große Liebe nicht gleichzeitig möglich waren", sagt Boenig. "Also haben sie beschlossen, Ersteres zu beenden und Letzteres zu retten."
Mindestens geknutscht
Viele andere versuchen derweil weiter beides auf einmal. Bei allen Unwägbarkeiten bleibt das Büro eine der beliebtesten Partnerbörsen im Land. Laut dem Meinungsforschungsinstitut OnePoll sind 42 Prozent der deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schon mal mit jemandem aus dem Kollegenkreis ausgegangen; 32 Prozent haben mindestens geknutscht. Knapp die Hälfte derer, die schon mal in eine Liebesbeziehung am Arbeitsplatz geraten waren, hat es dabei mit jemandem aus derselben Abteilung versucht.
Kein Wunder, findet der Hamburger Psychologe und Paarberater Markus Ernst, der nebenbei für das Datingportal Parship arbeitet. "Wir verbringen den Großteil unseres Lebens am Arbeitsplatz – da liegt es nahe, dass man dort jemandem über den Weg läuft, den oder die man ganz toll findet." Auch er glaube, dass Büroliebe nicht die "unkomplizierteste Variante" der Paarbildung sei, aber man dürfe nicht die Vorteile vergessen: "Für Menschen, die gern viel Zeit miteinander verbringen und gleichzeitig Spaß an der Arbeit haben, kann das eine wunderbare Konstellation sein." Man habe immer Gesprächsstoff, interessiere sich für gleiche Themen. "Es kann doch toll sein, wenn man mit dem Menschen, den man liebt, leidenschaftlich an gemeinsamen Projekten arbeiten kann."
"Für Menschen, die gern viel Zeit miteinander verbringen und gleichzeitig Spaß an der Arbeit haben, kann das eine wunderbare Konstellation sein."
Das sehe sie auch ein, sagt die Karriereberaterin Boenig, die von ihrem Büro am Bodensee aus vor allem Führungskräfte berät. Aber immer wieder erlebe sie, wie Paare es versuchen und es doch nicht schaffen. "Insgeheim wissen wir alle, dass Liebesbeziehungen innerhalb einer Abteilung kompliziert sind", erzählt sie. Doch viele sähen nur die Probleme, die das für die Beziehung bringt – und nicht, wie sehr eine Beziehung der Karriere schaden kann. "Dabei sollte allen klar sein, dass man im Unternehmen als Paar ständig beobachtet wird, heute noch viel stärker als früher."
Seit einigen Jahren versuchen viele Unternehmen in Deutschland Liebesbeziehungen im Büro mit Verhaltensregeln zu kontrollieren. "Romantische Beziehungen im Kolleg*innenkreis können zu Interessenkonflikten führen und eine Anpassung von Zuständigkeiten erfordern" heißt es etwa im Ethikkodex des Onlineversandhandels Zalando. Vor allem Menschen, die sich in Vorgesetzte verlieben, können Probleme bekommen: Eine Beziehung "innerhalb einer Berichtslinie" sei ein Interessenkonflikt – und wer den nicht vermeiden könne, müsse die Situation einer Führungskraft oder einer anderen Person des Vertrauens melden. Ähnlich steht es im Verhaltenskodex des Gaslieferers Linde und im Verhaltenskodex der Deutschen Bank; auch die Allianz ermutigt Mitarbeitende dazu, "bestehende oder potenzielle Interessenskonflikte" der Führungskraft mitzuteilen.
Die Angst vor Skandalen
Hintergrund ist die Debatte um MeToo, um Machtmissbrauch in Unternehmen und etliche Skandale. Im vergangenen Jahr hat der Medienkonzern Springer beispielsweise den damaligen Bild-Chefredakteur Julian Reichelt von seinen Aufgaben entbunden, als bekannt wurde, dass er offenbar mehrere Beziehungen zu ihm unterstellten Mitarbeiterinnen hatte. Er soll seine Führungsposition den Frauen gegenüber als Machtinstrument missbraucht haben. Mittlerweile hat eine der Betroffenen gegen den US-Ableger des Konzerns Klage unter anderem wegen sexueller Belästigung eingereicht. Es droht ein sehr teurer Rechtsstreit.
Die Karriereberaterin Boenig findet es grundsätzlich gut, dass Unternehmen wachsamer sind, um Machtmissbrauch zu verhindern. "Diese Geschichten von Chefs, die etwas mit ihrer Sekretärin anfangen und sie dann fallen lassen, gibt es ja immer noch", sagt sie. Der Unterschied sei, dass es früher schlechter für die weniger mächtige Partei ausgegangen sei als heute. "Die verschworenen Golfclub-Männergangs bröckeln", sagt Boenig. "Mittlerweile müssen sich Frauen nicht mehr als blöde Kühe abtun lassen, die sich nur rächen wollen – sie wissen, dass sie sich nichts mehr gefallen lassen müssen."
Obwohl sie es sicher oft gern möchten, ist es deutschen Unternehmen bei allen Ethikregeln jedoch nicht möglich, den Mitarbeitenden eine Liebesbeziehung zu verbieten. Sie können auch, anders als in den USA, niemanden dazu zwingen, eine Bürobeziehung innerhalb der Firma öffentlich zu machen. "In Deutschland bleibt Liebe Privatsache", sagt der Hamburger Anwalt Sven Röbke. "Die Verhaltensregeln der Unternehmen gehen oft weit über das Arbeitsrecht hinaus, davon muss man sich als Paar erst mal nicht einschüchtern lassen." Das gilt auch für Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Untergebenen: Auch wenn Unternehmen einen Interessenkonflikt erkennen können, wenn etwa eine Abteilungsleiterin über Gehaltserhöhungen ihres Ehemanns entscheiden darf, gibt es kein Gesetz, das so etwas verbietet.
Was tun nach dem One-Night-Stand auf der Weihnachtsfeier?
Trotzdem rät der Anwalt Röbke, sich den direkten Vorgesetzten anzuvertrauen, zumindest wenn klar ist, dass die Beziehung weiter bestehen wird – die Erfahrung zeige, dass es auch bei größter Diskretion irgendwann im Team zu Gerüchten komme. Die wiederum können zu Unruhe führen, etwa wenn Mitarbeitende spekulieren, dass jemand wegen der Beziehung bevorzugt behandelt wird. Und wenn es um den Betriebsfrieden geht, hat der Arbeitgeber die Möglichkeit der sogenannten Änderungskündigung: Er kann eine der betreffenden Personen kündigen, sofern er ihr einen geänderten Folgevertrag anbietet – etwa in einer ganz anderen Abteilung oder einem anderen Standort. "Kein Arbeitgeber will, dass ein Paar bei einer Trennung einen Rosenkrieg in die Firma trägt", sagt der Anwalt. "Wenn das Unternehmen dann etwa so klein ist, dass eine Versetzung nicht möglich ist, kann sogar eine verhaltensbedingte Kündigung ausgesprochen werden und man ist den Job ganz los."
Doch gerade in kleinen Familienunternehmen wie etwa Handwerksbetrieben ist es insgesamt oft einfacher, Paar- und Arbeitsbeziehung zu kombinieren, glaubt der Führungskräfte-Coach Hans-Georg Huber. Denn dort arbeiten häufig der Partner, die Partnerin oder andere Familienmitglieder gemeinsam in der Firma – und wenn zum Beispiel die Ehefrau vom Chef die Buchhaltung macht, stellen das die Mitarbeitenden normalerweise nicht infrage.
"Kein Arbeitgeber will, dass ein Paar bei einer Trennung einen Rosenkrieg in die Firma trägt"
Huber beruft sich auch auf persönliche Erfahrung, denn er arbeitet fast genauso lang mit seiner Frau Barbara zusammen, wie er mit ihr verheiratet ist: 36 Jahre. Zuerst führten die beiden gemeinsam eine psychotherapeutische Praxis, später dann zudem ein Coachingbüro in Freiburg mit Zweigstelle in Frankfurt. "Unser Geheimnis ist vielleicht, dass wir vor 25 Jahren die Verantwortlichkeiten klar geregelt haben", sagt er. Damals hat er die Gesamtleitung des Coachingbüros übernommen, wo seine Frau weiter Seminare für Frauen in Führungsverantwortung anbietet – in der psychotherapeutischen Praxis ist hingegen sie die alleinige Chefin und er ihr Berater. "Wir helfen einander, wenn wir gefragt werden, sonst mischen wir uns nicht in den Verantwortungsbereich des anderen ein."
Klar, in 36 Jahren habe es auch private Krisen gegeben, Streits und Diskussionen. Aber gerade da habe die gemeinsame Arbeit eher geholfen als geschadet. "Ein Unternehmen zu führen, ist ein bisschen, wie ein Kind zusammen zu haben: Man fühlt sich verantwortlich, reißt sich zusammen und agiert Konflikte nicht am Arbeitsplatz aus", sagt Huber. Ein weiterer Grund für so viele Jahre ohne Trennung dürfte aber sein, dass es bei den Hubers eben kein Machtgefälle gibt. "Wir haben immer auf Augenhöhe gearbeitet", sagt er. "Gegenseitiger Respekt und Wertschätzung für den Beitrag des und der anderen sind dabei wesentlich."
"Ein gemeinsames Unternehmen zu führen, ist ein bisschen, wie ein Kind zusammen zu haben"
Trotzdem glaubt Huber, dass eine Bürobeziehung auch auf unterschiedlichen Hierarchieebenen funktionieren kann. "Zwar würde ich wohl immer raten, sich erst mal zu überlegen, ob eine beteiligte Partei nicht lieber die Abteilung wechseln möchte – aber wenn das nicht geht, müssen beide eben mit besonderer Disziplin das Private so weit wie möglich aus dem Büro halten."
Hat er die Beförderung bekommen, weil er mit der Chefin zusammen ist? Haben die beiden zu Hause besprochen, wie er in der Konferenz vor allen glänzen kann? "Solche Projektionen lassen sich leichter entschärfen, je professioneller das Paar auftritt", sagt Huber. "Wenn die beiden zum Beispiel bereit sind, sich vor anderen miteinander anzulegen, und immer ihre jeweils eigene Meinung zum Wohle der Abteilung vertreten, gibt es auch wenig Grund für Spekulationen und Verdächtigungen." Professionalität wirke da wie ein Immunsystem.
Und was tun beim Klassiker, dem One-Night-Stand nach oder sogar auf der Weihnachtsfeier? "Unbedingt vermeiden", sagt Paartherapeut Ernst. "Das führt immer nur zu Schwierigkeiten, aber höchstens in den seltensten Fällen zu einer echten Beziehung oder konstruktiver Zusammenarbeit."
Karriereberaterin Jutta Boenig sieht das etwas entspannter. "One-Night-Stands unter Kolleginnen und Kollegen gab es immer und wird es immer geben, so lange miteinander getrunken und gefeiert wird." Besonders Vertriebsabteilungen sind laut Boenig traditionell bekannt für gemeinsame Feste – sei es, um gute Zahlen zu feiern oder einfach, um die Langeweile zu bekämpfen, wenn man zusammen auf Verkaufstour und weit weg von zu Hause ist. Wenn da mal etwas passiere, sollte man laut Boenig die Ruhe bewahren und auf keinen Fall gleich das ganze Team informieren. Solange die Beteiligten danach weiter professionell zusammenarbeiten können, lohne es nicht, das Gerede selbst zu starten. "Wenn es nur ein Flirt ist, der irgendwann in der Kiste landet, rate ich zu schweigen", sagt sie. "Gern auch schmunzelnd."
Die Ärztin und der Pfleger haben übrigens eine Familie gegründet. Er hat die Pflegeleitung im Krankenhaus übernommen, sie führt eine eigene Praxis. Sie schicken Boenig immer mal wieder Grüße.
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