Die Karrierefrage: Brauche ich berufliche Vorbilder?

Autor*innen
Piera Tomasella
Frau und Mann stehen nebeneinander und haben anstelle von Köpfen Sprechblasen.

Andere Menschen können inspirieren, motivieren, ganze Lebensläufe verändern. Allerdings ist das nicht in jedem Fall zu empfehlen.

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Bei der Studienwahl wäre Monika Diefenbach nie auf die Idee gekommen, Architektin zu werden. Damals entschied sie sich für Innenarchitektur – hauptsächlich, weil sie gut malen und zeichnen konnte. Wohin sie ihr beruflicher Weg führen sollte, wusste sie noch nicht. "Ich hatte keine Vorbilder", erinnert sich die 65-Jährige heute. Akademiker gab es in ihrer Familie nicht, Frauen waren in der Branche kaum vertreten. "Vielleicht wäre ich bei irgendeinem Einrichtungshaus gelandet, aber die Vorstellung hat mir damals schon nicht gefallen. Oder vielleicht hätte ich es auch hingeworfen und etwas ganz anderes gemacht."

Stattdessen arbeitet Diefenbach seit 35 Jahren als freie Architektin und hat in Frankfurt ein eigenes Büro. Im ersten Studienjahr machte sie ein Praktikum in einem Architekturbüro – und fand im Chef ein berufliches Vorbild. "Ich fand die Projekte gut, die er entworfen hat. Und die Arbeitsatmosphäre war sehr persönlich und offen", erzählt Diefenbach. Sie entschied sich dafür, von der Innenarchitektur in die Architektur zu wechseln – trotz des deutlich geringeren Frauenanteils. Das hätte sie sich davor nicht zugetraut.

"Ich habe gemerkt: Ich bin nicht allein"

Später trat sie dem Frauennetzwerk "Business and Professional Women" (BPW) bei und konnte sich dort mit anderen Selbständigen über berufliche Themen von Honoraren bis Kundenbindung austauschen. Heute ist sie die erste Vorsitzende des BPW Frankfurt. "Für mich waren die anderen Frauen Vorbilder in dem Sinne, dass sie in bestimmten Bereichen schon einen Schritt weiter waren als ich", sagt Diefenbach. "Und ich habe gemerkt: Ich bin nicht allein."

Pippi Langstrumpf, Superhelden oder Papa und Mama: Kinder wissen meist ganz genau, wer ihre Vorbilder sind. Andere zu beobachten, gehört zum Lernen dazu. "Kinder ahmen ständig andere Menschen nach", sagt Nico Bunzeck. Er ist Professor für Psychologie an der Universität zu Lübeck und beschäftigt sich damit, wie sich Gedächtnis und Lernen über unsere Lebensspanne hinweg entwickeln – von den ersten Schritten bis ins hohe Alter. "Das hört nicht mit dem Kleinkindalter auf, sondern zieht sich durch das gesamte Leben", sagt er. Wie wir als Kleinkinder laufen lernen, schauen wir uns später bei Kollegen ab, wie man sich im Büro richtig verhält oder mit Kunden redet.

Insbesondere für Jugendliche und junge Erwachsene gehe es aber auch um die ganz großen Fragen nach der eigenen Identität: Wer bin ich? Was kann ich? Und welche Rolle möchte ich in der Gesellschaft einnehmen? "Vorbilder zeigen uns, welche Möglichkeiten und Verhaltensrepertoires es gibt", sagt Bunzeck. So können sie Inspiration dafür bieten, wo es beruflich hingehen kann, und dazu motivieren, sich konkrete Ziele zu setzen. "Es kann sehr hilfreich sein, wenn man ein klares Bild davon vor Augen hat, was man erreichen will."

Vorbilder hatten es schon leichter

Trotzdem scheinen berufliche Vorbilder aus der Mode zu kommen, erzählt Madeleine Leitner, Psychologin und Karriereberaterin aus München. Wenn sie ihre Klienten fragt, ob sie Vorbilder haben oder hatten, lautet die Antwort durchweg: nein. "Der Begriff ist nicht mehr positiv besetzt, weil er aussagt: Ich mache jemanden nach und will genauso sein wie diese Person", sagt Leitner. Doch im weiteren Gespräch zeige sich meist, dass vielen nicht bewusst ist, wo beispielsweise Parallelen zu den Lebenswegen der Eltern oder Großeltern liegen. Negative Vorbilder könnten außerdem dafür sorgen, dass Menschen aus Frust oder Trotz Berufswege einschlagen, in denen sie unglücklich sind. "Durch Vorbilder ist man oft viel stärker geprägt, als man denkt."

Die Beraterin warnt davor, auf der Suche nach Orientierung anderen Menschen nachzueifern. Die Erfahrungen anderer sollten als Inspiration dienen – aber nicht als Blaupause. Von Vorbildern aus ihrer Branche können Berufsanfänger beispielsweise lernen, wie sie ihre eigenen Herausforderungen bewältigen können oder welche Fähigkeiten sie im Beruf weiterbringen werden. Dabei sollten sie aber nicht versuchen, das Verhalten ihrer Vorbilder eins zu eins zu kopieren. "Das ist nicht authentisch", meint Leitner. "Techniken kann man lernen. Persönlichkeit nicht." Besonders problematisch: wenn berühmte Menschen zu beruflichen Vorbildern werden. "Da ist der Misserfolg zu einem ganz hohen Prozentsatz programmiert. Wenn man sich an Menschen wie Elon Musk misst, ist das oft ein Ersatz für die eigene Unsicherheit."

Nicht nur die Jungen brauchen Vorbilder

Da hilft vor allem: die persönlichen Vorbilder und Werte kritisch hinterfragen – und sich so eine eigene Identität erarbeiten. Das gelte vor allem für junge Menschen. "Dann besteht gar nicht mehr die Notwendigkeit, explizit nach Vorbildern zu suchen", sagt Psychologieprofessor Bunzeck. Doch auch mitten im Berufsleben kann das Bedürfnis nach Vorbildern wieder aufkommen. Beispielsweise dann, wenn ein beruflicher Neuanfang ansteht und die alten Werte rund um den Job überholt sind. Dann kann es helfen, über die Lebensentwürfe nachzudenken, die sich hinter inspirierenden Menschen verbergen – über neue Konzepte rund um Arbeit, Karriere, Wohnen und Familie. Auch abstrakte Ideen können als Vorbilder dienen und das Bedürfnis nach Orientierung stillen.

Dass es geeignete Vorbilder gibt, ist nicht für jeden selbstverständlich. Wer beispielsweise wegen seines Geschlechts oder seiner ethnischen Herkunft diskriminiert wird und in Führungspositionen niemanden mit ähnlichen Erfahrungen sieht, hat deutlich weniger Anknüpfungspunkte. "Wenn einem ständig gesagt wird, dass man nicht gut genug ist, fängt man selbst an daran zu glauben", sagt Martha Dudzinski, Mitgründerin der SWANS Initiative. Die Organisation fördert rund 1.000 Frauen mit Einwanderungsgeschichte, schwarze Frauen und Women of Colour, die im deutschsprachigen Raum aufgewachsen sind und hier studieren oder studiert haben. Dazu gehören Seminare zu Gehaltsverhandlungen, Bewerbungen, Leadership – und ein "Vorbilder-Blog", in dem erfolgreiche Frauen mit ähnlichen Werdegängen von ihren Erfahrungen erzählen.

Frühere Helden und Traumjobs hinterfragen

Im Vergleich zu Menschen, für die das selbstverständlich ist, hätten die Frauen aus ihrer Zielgruppe ein stärkeres Bedürfnis nach Vorbildern, so Dudzinski: "Bei uns sind schon Kopftuch tragende Teilnehmerinnen einfach in Tränen ausgebrochen, weil sie eine Trainerin hatten, die auch Kopftuch trägt, und ihnen das noch nie im Leben passiert ist." Viele der Frauen würden davon ausgehen, dass sie in bestimmten Räumen nicht erwünscht sind, weil sie sich dort nicht repräsentiert sehen. Geeignete berufliche Vorbilder seien zwar kein Allheilmittel, könnten aber helfen. "Allein zu merken, dass es eine Person gibt, die so aussieht wie ich und es dorthin geschafft hat, setzt eine wahnsinnige Energie frei", sagt Dudzinski. "Dann ist da eine Person, die nicht nur die gleichen Hürden überstanden hat wie ich, sondern auch versteht, was meine Lebensrealität ist."

Auch über die eigenen Bedürfnisse können Vorbilder viel verraten. "Oft geht es nicht nur um die Person an sich, sondern um das Motiv, das dahintersteckt", sagt Karriereberaterin Leitner. "Dann kann man fragen: Was genau interessiert mich an der Person? Ist es etwas Persönliches oder etwas aus ihrem Werdegang? Für welches Bedürfnis steht sie?" Spannend könne es außerdem sein, Helden und vermeintliche Traumjobs aus der eigenen Kindheit zu hinterfragen. "Ich hatte mal eine Klientin, die zum Traumjob gesagt hat: Königin, was sonst?", erzählt Leitner. "Eine Königin ist sicher jemand, der sich von niemandem etwas sagen lässt."

"Mit beruflichen Vorbildern ist es einfacher"

Für Monika Diefenbach ist klar: Es kann auch ohne Vorbilder gehen. "Aber man findet eher seine Zielrichtung, wenn man sieht, wie es gelebt wird", meint die Architektin. Sie ist sich sicher, dass sie ohne das Praktikum im Studium nicht in der Architektur gelandet wäre. Inzwischen hat sie selbst manchmal das Gefühl, Vorbild für andere zu sein. "Es gibt sicherlich Zeitpunkte, zu denen man auch mal ins kalte Wasser springen muss", sagt Diefenbach. "Aber mit beruflichen Vorbildern ist es einfacher."

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