Generation Z: Was wollen sie denn nur?
- Jannik Deters und Dominik Reintjes
Die Generation Z strömt auf den Arbeitsmarkt – und Führungskräfte begrüßen sie mit Unterstellungen: Der Nachwuchs sei verweichlicht, faul, zu anspruchsvoll. Wie viele Mythen in all den Klagen stecken.
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Auf die jungen Leute zu schimpfen, das hat Tradition. Klassischerweise wird sich dabei über fehlenden Arbeitseifer beklagt, einen Mangel an Disziplin und Respekt. Alles Punkte, die sich auch die Generation Z, die gerade aus Uni und Ausbildung in den Job strömt, anhören muss.
Und doch ist etwas anders an der Jugendkritik der Gegenwart, die gereizter, anprangernder ist als in früheren Zeiten. Vielleicht liegt es daran, dass die Gegenkritik der Jugend an den Eliten (Boomer) mindestens ebenso laut ist. Oder daran, dass die Startbedingungen der unter 27-Jährigen so gut sind wie nie zuvor: Sie können den Arbeitgebern dank des Personalmangels ihre Bedingungen diktieren. Und sie nutzen damit eine gesellschaftliche Notlage aus, meinen viele Ältere, die sich an ihren Berufseinstieg als eine Zeit erinnern, in der sie derart beschäftigt waren, die Ansprüche anderer zu erfüllen, dass sie keine eigenen stellten. So gereizt die aktuelle Debatte, so dünn sind die Fakten: Was also ist dran an den häufigsten Vorwürfen?
Mythos 1
Roland Mack bekommt schon Sorgenfalten, wenn er das Wort Work-Life-Balance nur hört. Im vergangenen Herbst klagte der Chef des Europaparks Rust, 73 Jahre alt: "Da kommen 25-Jährige und wollen nur drei Tage arbeiten – dabei haben die das ganze Leben noch vor sich, könnten hier etwas werden, Verantwortung übernehmen, Karriere machen."
Belegen lässt sich Macks Klage kaum. Die Beratung Willis Towers Watson hat 2022 erhoben, wie Unternehmen Talente unterschiedlichen Alters gewinnen und binden. Bei den Menschen bis 27 Jahren am höchsten im Kurs: das Gehalt. Flexibles Arbeiten als Argument für einen neuen Arbeitgeber ist Babyboomern und Vertretern der Generationen X und Y deutlich wichtiger. Nur wenn es darum geht, beim Arbeitgeber zu bleiben, legt die Gen Z mehr Wert auf flexible Arbeit als andere Generationen.
Die Meinung, die Generation Z lege zu viel Wert auf Work-Life-Balance, hält sich dennoch hartnäckig. Ronja Ebeling, die Firmen beim Umgang mit jungen Menschen berät, fordert mehr Raum für soziales Engagement und die Pflege von Familienangehörigen. Dies könnte in Zukunft wichtiger werden, wenn es noch weniger Arbeitskräfte im sozialen Bereich gibt. Zudem fragen sich viele: Lohnt es sich überhaupt, in jungen Jahren so viel zu arbeiten, wenn am Ende kaum etwas übrig bleibt?
Berufseinsteiger mit niedrigem Gehalt können aufgrund der hohen Lebenshaltungskosten kaum etwas zurücklegen. "Mit aller Mühe schwimmen sie in einem Pool vor einer Gegenstromanlage umher und kommen kein Stück voran. Jetzt wurde die Maschine noch eine Stufe höher gestellt, die Inflation erzeugt Druck, und die Muskelkraft lässt nach", so Ebeling. Ein Hausbau ist ohne Erbschaft kaum zu finanzieren. Da fokussieren sich manche lieber aufs Hier und Jetzt – und die Viertagewoche.
Mythos 2
Neu, findet Andrea Nahles, sei Purpose wirklich nicht. Auch sie habe, so die Chefin der Bundesagentur für Arbeit und frühere SPD-Vorsitzende, "immer gerne viel gearbeitet". Weil sie an den Sinn ihrer Tätigkeit glaubte. "Früher nannte man das noch nicht Purpose, aber es war das gleiche Anliegen."
Eben diese Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns ist es, die junge Berufstätige nach Meinung vieler Firmenlenker konsequent einfordern. Alles müsse immer grün, sozial, sinnstiftend sein. Das stimmt, wenn auch nur in Teilen. Der Sinn ihrer Arbeit, so zeigt eine Befragung der Beratung Deloitte, ist den Angehörigen der Gen Z wichtig – aber nicht so wichtig wie den etwas älteren Millennials.
Auch ältere Arbeitnehmer finden Verantwortung für Ökologie, soziales Miteinander und gute Unternehmensführung genauso wichtig, oft sogar wichtiger als die Berufseinsteiger. In einer Umfrage der Kommunikationsagentur Edelman in 14 Ländern sagten 66 Prozent, der einzelne Mensch müsse seine Gewohnheiten dramatisch verändern, um dem Klimawandel zu begegnen. Unter den Befragten, die älter als 55 Jahre waren, stimmten dieser Aussage überdurchschnittlich viele zu: 70 Prozent. Aus elf Millionen Menschen nun die Generation Greta zu machen, wäre vermessen, sagt Buchautorin Ronja Ebeling, selbst Jahrgang 1996. "Es sind längst nicht alle purposegetrieben." Nicht jeder habe den Kopf frei genug, um nebenbei die Welt zu retten.
Fenja Feitsch, Jahrgang 1999, hat diesen Antrieb. Sie wollte "wegen des Klimawandels" Ingenieurin werden und nahm an Weltklimakonferenzen in Bonn und Madrid teil. Inzwischen macht Feitsch an der ETH Zürich einen Master in Energiewissenschaften und leitet das Netzwerk Young Engineers im Verein Deutscher Ingenieure. Sie sieht sich als Ausnahmeerscheinung: Zwar betonten viele Berufsanfänger, dass ihnen die Werte eines Arbeitgebers besonders wichtig sind. Feitschs Erfahrung zeigt: Bei der Vertragsunterschrift spielt das Gehalt plötzlich doch "eine größere Rolle, als es manchmal scheint".
Mythos 3
Die Arbeitsmoral der jungen Generation skizzierte der Hamburger Digitalunternehmer Mathias Keswani jüngst so: "Ich komme mal vorbei, aber wenn mir das zu stressig wird, dann lasse ich es lieber." So griffig das klingt, so wenig trifft es wohl zu: Wenn sie es sich aussuchen könnten, würden nur 22 Prozent der Menschen unter 35 Jahren weniger arbeiten, zeigen Daten der EU-eigenen Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen. Anders die älteren Arbeitnehmer: Mehr als ein Drittel der Menschen ab 50 Jahren würde gerne weniger arbeiten, bei den Menschen zwischen 35 und 49 Jahren sind es 31 Prozent. Und: 13 Prozent der Menschen unter 35 würden gar mehr arbeiten – so viele wie in keiner anderen Altersgruppe.
Gefragt nach ihrer Motivation, konnten die Forscher im Auftrag der Europäischen Union keine Unterschiede zwischen den Altersgruppen erkennen. Zwar ist es richtig, dass junge Leute hierzulande heute weniger arbeiten als noch vor zehn Jahren. Doch das tun alle Erwerbstätigen – und die älteren ganz besonders: Vollzeitbeschäftigte zwischen 15 und 24 Jahren arbeiteten 2021 mit 39,1 Stunden pro Woche gut 40 Minuten weniger als 2011, wie Zahlen von Eurostat zeigen. Und Menschen zwischen 25 und 54 Jahren schufteten 2011 im Schnitt noch 42 Stunden – 2021 waren es 40,6 Stunden.
Faulheit kann man auch Studenten nicht vorwerfen. Sie arbeiten nebenher sogar mehr als noch vor zehn Jahren, zeigt eine Studie des Bonner Forschungsinstituts Constata in Zusammenarbeit mit der Universität Maastricht. Die Anzahl der Wochenarbeitsstunden ist zwischen 2013 und 2021 von 11,1 auf 12,5 gestiegen. Und 76 Prozent der Befragten gaben in einer Befragung 2020 an, unmittelbar nach der Uni in die Berufstätigkeit starten zu wollen.
Mythos 4
In seiner Jugend, so sagte es Schraubenunternehmer Reinhold Würth einmal, "war das Geldverdienen noch echt eine Nummer". Heute fehle der jungen Generation hingegen der Antrieb. "Die sind zu wohlversorgt von den Eltern", so der 87-Jährige. Er lieferte die klassische Erzählung: Die von den Nachkriegsjahren geprägten Alten wussten noch, was Arbeit heißt – und schufteten in ihren jungen Jahren für einen kleinen Lohn. Die heute Jungen reisen nach der Schule erst mal ein Jahr durch Australien. Um durchzuatmen. Um darüber nachzudenken, was sie im Leben machen wollen. Nur um dann 13 Semester auf Kosten der Eltern zu studieren.
Dabei zeigen Daten des Statistischen Bundesamts: Seit 1996 war der Anteil der Menschen zwischen 15 und 24 Jahren, die ihr Geld hauptsächlich von den Eltern bekommen, nicht so niedrig wie 2020 (49,3 Prozent). Der Anteil derer, die ihren Unterhalt selbst verdienen, ist seit 2004 um drei Prozentpunkte gestiegen. Und während 2011 erst 27,5 Prozent der 15- bis 24-Jährigen zu Hause ausgezogen waren, wohnten zehn Jahre später schon 31,2 Prozent nicht mehr im elterlichen Haushalt.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband geht jedoch davon aus, dass fast jeder dritte Student rechnerisch von Armut betroffen ist. Unter denen, die allein leben, sind es sogar 79 Prozent. Die Analyse stützt sich auf Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) von 2020 und Daten des Deutschen Studierendenwerks. Als arm oder armutsgefährdet gelten Menschen, die mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens auskommen müssen. Für einen Einpersonenhaushalt lag diese Grenze zuletzt bei rund 1150 Euro netto. Die Mieten sind in allen großen Studentenstädten im vergangenen Jahr gestiegen, in Berlin sogar um 18,5 Prozent. Dort kostet eine 30-Quadratmeter-Wohnung inzwischen hinter München und Stuttgart am drittmeisten: 718 Euro.
Mythos 5
Wollen junge Menschen wirklich keine Karriere mehr machen? Zählen Prestige und sozialer Aufstieg nichts mehr? Von wegen. Für jeden dritten jungen Menschen ist der berufliche Aufstieg so wichtig, dass er oder sie kündigen würde, wenn die Aufstiegsmöglichkeiten nicht gut genug sind. Das zeigt eine Untersuchung der Beratungsgesellschaft Deloitte. Einer Befragung der Beratung WTW zufolge legt keine Generation mehr Wert auf Karriereentwicklung. In der Frage, was einen ans Unternehmen bindet, liegen Aufstiegschancen hinter dem Gehalt und der flexiblen Arbeit auf dem dritten Platz. Bei den Generationen X und den Babyboomern, die seit Jahrzehnten im Job sind, zählen sie hingegen wohl auch altersbedingt nicht mehr zu den effektivsten Gewinnungs- und Bindemitteln.
Am Beispiel von Martin Dimitrov zeigt sich, wie Zutrauen und Verantwortung einen 25-Jährigen motivieren, nach Höherem zu streben. Dimitrov ist Analyst bei der Investmentbank TD Cowen in Leipzig und noch "am Anfang der Kette", wie er sagt. Dennoch betreut er Kunden, etwa Unternehmer, die ihr Lebenswerk verkaufen, oder Beteiligungsgesellschaften, die in Unternehmen investieren. Eine Verantwortung, die Dimitrov nicht als einengend empfindet, sondern als bereichernd: Das sei "richtig anspruchsvoll", aber genau der Grund, warum er dort arbeite. Sein nächster Karriereschritt: In Zukunft will er Projekte und Teams eigenverantwortlich anführen.
Allein ist er mit diesem Drang nicht. In einer Befragung von mehr als 4200 Vertretern der Generation Z fanden Wissenschaftler der Wirtschaftshochschule Insead heraus, dass 61 Prozent großen Wert darauf legen, Führungskraft zu werden. Allerdings: In Deutschland gaben 47 Prozent an, dass sie das hohe Stresslevel in einer Führungsposition abschreckt.
Mythos 6
Bankanalyst Martin Dimitrov hat sich im Studium selbst finanziert. Als Kellner und in der Unimensa. Heute arbeitet er rund 60 Stunden in der Woche. Ein strapaziöser Job, aber unglücklich, sagt Dimitrov, sei er deshalb nicht. "Wenn ich länger arbeite, fühle ich mich nicht meiner Zeit beraubt. Ich mache etwas, das mich erfüllt."
Und doch müssen sich Menschen in Dimitrovs Alter oft anhören, sie machten Dienst nach Vorschrift und seien nicht belastbar. Die Gen Z selbst nimmt sich offenbar anders wahr. Neun von zehn sagen, sie strengten sich an und hielten auch bei Problemen durch. Wozu das führen kann, zeigt eine aktuelle US-Studie: Junge Erwachsene Mitte 20 empfinden den größten Druck. Die Forscher analysierten das Stressempfinden von Menschen zwischen 22 und 77 über einen Zeitraum von 20 Jahren. "Ein 25-Jähriger ist an Tagen, an denen er Stress ausgesetzt ist, viel mürrischer. Erst wenn wir älter werden, finden wir heraus, wie wir diese Belastungen verringern können", sagt Studienautor David Almeida. Das niedrigste Stressempfinden haben Menschen Mitte 50.
Auch Fenja Feitsch, die an der ETH Zürich ihren Master in Energiewissenschaften macht, kennt Wochen mit 60 Arbeitsstunden: "Die meisten Studierenden hier verzichten auf das Bier mit Freunden am Abend", sagt die Ingenieurin, die im Sommer ein Praktikum bei den Schweizerischen Bundesbahnen absolviert. Einem Unternehmen, das die Belange der jungen Generation nicht als realitätsferne Selbstgefälligkeiten abtut: Als es Feitsch für den Job ansprach, stellte sie klar, dass sie neben dem Studium einem Ehrenamt nachgehe, "das sehr viel Zeit in Anspruch nimmt". Die Reaktion der Personaler? „Gar kein Problem, wir kriegen das hin und finden es toll, dass Sie sich engagieren.“
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