Duales Studium: Mit Schulden zum Bachelor

Autor*innen
Piera Tomasella
Um einem Gelschein sind viele Hände

Ein duales Studium verspricht Theorie und Praxis in einem. Doch wer nicht aufpasst, büßt Freiheit ein - oder steht nach dem Bachelor mit Geldsorgen da.

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Drei Verhandlungsgespräche braucht es, bis Niklas Mickelat genug hat. Eigentlich ist er gut vorbereitet: Er hat Arbeitsangebote von anderen Unternehmen in der Tasche, weiß genau, was seine Kommilitonen verdienen, kennt den Chef, kennt die Firma. Knapp die Hälfte seiner Studienzeit hat der 24-Jährige hier verbracht. Eigentlich will er bleiben – aber nur, wenn das Gehalt stimmt. "Das haben sie gnadenlos abgeschmettert", sagt der Wirtschaftsinformatiker frustriert. Als ihm die Firma bei der dritten Verhandlung immer noch nicht entgegenkommt, kündigt er. Und soll jetzt fast 30.000 Euro zurückzahlen.

Niklas hat dual studiert: Drei Jahre lang hat er im Wechsel drei Monate an der Fachhochschule der Wirtschaft (FHDW) in Bergisch Gladbach und drei Monate in seiner Firma verbracht. Weil die FHDW eine private Hochschule ist, übernehmen viele Betriebe die Studiengebühren für ihre dual Studierenden – mehrere Hundert Euro im Monat. Im Gegenzug verpflichten sie sich dazu, nach ihrem Studienabschluss meist für weitere drei Jahre im Unternehmen zu bleiben. Wenn sie früher kündigen oder ihr Studium abbrechen, müssen sie die Studiengebühren zurückzahlen.

Dass auch in seinem Vertrag eine Rückzahlungsklausel steht, war Niklas bewusst. Weitere drei Jahre hätte er in seinem Unternehmen bleiben müssen. Was das für die Firma bedeutet, sei bei den Gehaltsverhandlungen deutlich geworden: Er habe den Vertrag doch unterschrieben, habe sein Chef gesagt. Also sei er jetzt nicht in der Position, zu verhandeln. Doch Niklas sieht das anders. Als Studienanfänger lasse man sich von der Aussicht auf ein eigenes Gehalt schnell blenden. "Eigentlich kann man keinem 18-Jährigen, der gerade aus dem Abitur kommt, zumuten, so einen Vertrag zu unterschreiben."

Niklas hat sich Unterstützung von einem Anwalt geholt. Der habe seinen Vertrag geprüft und ihm gute Chancen ausgerechnet, um die Rückzahlung herumzukommen. Doch dann machte er einen Fehler: Weil er möglichst bald bei seinem neuen Arbeitgeber anfangen wollte, habe er einen Aufhebungsvertrag unterschrieben, in dem ein weiteres Mal klipp und klar die Summe stand, die er zurückzahlen soll. "Eine Unterschrift, die 29.640 Euro ausmacht. Das tut richtig weh."

"Im Zweifelsfall ergreift man Partei für den Schwächeren"

Dass sich Unternehmen mit Rückzahlungsvereinbarungen absichern, hält Stefan Nieland hingegen für fair. Er ist der Präsident der FHDW und schätzt, dass rund 80 Prozent der Partnerbetriebe seiner Hochschule solche Klauseln in ihren Verträgen nutzen. "Ich kenne Unternehmen, die in den drei Jahren 90.000 Euro in die Hand nehmen, um einen jungen Menschen auszubilden", sagt Nieland und rechnet vor, wie schnell sich Studiengebühren, Gehalt und Kosten für freiwillige Schulungen aufsummieren. "Die Betriebe wollen danach natürlich tatkräftige Mitarbeiter haben. Idealerweise ist das Geld wieder eingespielt, wenn die jungen Leute drei Jahre bleiben."

Dass ein Absolvent ein Unternehmen verlässt, komme aber nur selten vor. "In der Regel versucht man, das dann ohne Streit zu lösen", so Nieland. In schwierigen Situationen schalte er sich als Vermittler ein. "Im Zweifelsfall ergreift man Partei für den Schwächeren. Oder man muss dem jungen Menschen auch mal sagen: Du hast hier eine Vereinbarung unterschrieben und musst die Konsequenzen tragen."

Fair oder nicht: Rechtlich sind solche Klauseln grundsätzlich erlaubt – nicht nur an privaten Hochschulen, sagt Claudia Hahn, Fachanwältin für Arbeitsrecht und Mitglied im Verband deutscher Arbeitsrechtsanwälte. Die Ausnahme sind ausbildungsintegrierte duale Studiengänge, die das Studium mit einer beruflichen Ausbildung kombinieren, denn Azubis sind vor Rückzahlungsforderungen geschützt. Für andere dual Studierende gilt das nicht: Wenn sie das Studium abbrechen, durchfallen oder nach ihrem Abschluss nicht für die vereinbarte Zeit im Unternehmen bleiben, darf sie der Partnerbetrieb zur Kasse bitten – vorausgesetzt, eine solche Klausel steht im Vertrag.

Betrag muss sich Jahr für Jahr reduzieren

Alles darf der Arbeitgeber allerdings nicht zurückfordern. In Rückzahlungsklauseln dürfen zum Beispiel das Monatsticket, Kantinenzuschüsse oder sogar das Nettogehalt stehen – allerdings nur für die Theoriephasen. Für die Monate, in denen sie aktiv im Betrieb sind, müssen die Studierenden ihre Vergütung nicht zurückzahlen. "In der Praxisphase erbringt der Studierende neben der Ausbildung ja auch Arbeitsleistung", sagt Hahn. "Aber für die Theoriephase hat der Arbeitgeber keine Arbeitsleistung. Deshalb darf er die Kosten zurückverlangen." Hält sich das Unternehmen nicht daran und fordert die Vergütung für den gesamten Zeitraum zurück, wird die ganze Klausel automatisch unwirksam – und der Studierende muss gar nichts zahlen. Das gilt auch, wenn der Betrieb pauschal "alles" zurückfordert, statt die einzelnen Kosten aufzulisten.

Wer nach drei Jahren Studium noch fünf Jahre im Unternehmen bleiben soll, kann den Vertrag ebenfalls "getrost unterschreiben", sagt Hahn. Denn nach drei Jahren Studium gelten höchstens drei Jahre als angemessene Bindungsdauer. Will der Betrieb seine dual Studierenden noch länger zum Bleiben verpflichten, fällt die Bindungsdauer komplett weg – und mit ihr die Rückzahlung. Außerdem muss sich der Betrag, den der Studierende zurückzahlen muss, Jahr für Jahr reduzieren. Wer nach einem von drei Jahren geht, muss also nur noch zwei Drittel der Kosten zurückzahlen.

Wenn sie junge Studierende langfristig an sich binden wollen, sollten die Betriebe solche Vereinbarungen allerdings überdenken, findet Sozialpsychologe Rolf van Dick von der Goethe-Universität Frankfurt. "Als Mitarbeiter fokussiert man sich dann nur noch auf das Geld. Die Aspekte, die am Unternehmen vielleicht gut sind, treten dann in den Hintergrund", sagt er. So signalisiere der Arbeitgeber den dual Studierenden, dass er sie nur unterstützen möchte, solange er selbst einen Nutzen daraus zieht. Stattdessen solle er lieber hervorheben, dass er sie wertschätzt und ihre persönliche Entwicklung fördern möchte. Dann würden die Studierenden im Betrieb bleiben, weil sie sich wohlfühlen oder eine moralische Verpflichtung verspüren – ohne Druck von außen.

Besser die Füße stillhalten

Ob sich dual Studierende mit Rückzahlungsklauseln auseinandersetzen müssen, hängt auch von ihrer Hochschule ab. An der staatlichen Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) etwa müssen die Unternehmen einen standardisierten Studienvertrag verwenden, der keine Rückzahlungs- und Bindungsklauseln enthält. Aber: "Es gibt immer die Möglichkeit, individuelle Nebenabreden zu treffen", sagt Linda Stumpf, Studienberaterin am DHBW-Standort Mannheim. Studiengebühren wie an der FHDW fallen hier nicht an. Die Betriebe und die Studierenden können aber individuelle Zusatzleistungen wie etwa Zuschüsse vereinbaren, die dann zurückgefordert werden dürfen – allerdings nur ohne Bindungsklausel. "Das wird aber äußert selten gemacht", fügt Stumpf hinzu. Im Schnitt bekomme sie nur etwa zwei Fragen zu Rückzahlungen pro Jahr.

Wer dennoch an einen Vertrag mit einer Rückzahlungsklausel gerät, sollte die Füße stillhalten und seinen Betrieb bloß nicht darauf hinweisen, empfiehlt Anwältin Hahn. Falls die Rückforderung trotzdem kommt und die Klausel offensichtlich unwirksam ist, könnten Studierende der Forderung selbst widersprechen. Ansonsten sollten sie ihren Vertrag genau prüfen lassen. "Wenn auch nur ein Problem auftaucht, ist die komplette Bindungs- und Rückzahlungsklausel kaputt", sagt Hahn. "Dann kann der Studierende es einfach ignorieren."

Niklas arbeitet heute nicht mehr bei seinem alten Arbeitgeber. Er nahm das Jobangebot eines anderen Unternehmens an. Neben seiner Vollzeitstelle absolviert er auch einen Masterstudiengang. Diesmal berufsbegleitend statt im dualen Studium. Dafür besucht er zwar am Abend und selbst am Wochenende Vorlesungen – muss sich dafür aber nicht mit Mindestlaufzeiten oder Rückzahlungsklauseln auseinandersetzen.

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