Viel Geld für Kanzleien: Hochbezahlte Wirtschaftsanwälte lieben London

Autor*innen
Philip Plickert und Marcus Jung
Mann steht mit verschränkten Armen vor einer Waage mit zwei Waagschalen. Sein Gesichtsausdruck ist neutral, die Waagschalen befinden sich auf der selben Höhe.

Britische und amerikanische Großkanzleien machen Milliardengeschäfte. Auch Deutsche eröffnen Büros. Die Einstiegsgehälter nähern sich 180.000 Pfund

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Auch nach dem Brexit hat sich die britische Hauptstadt als wichtigster Standort für Anwaltskanzleien und größter Markt für juristische Beratung außerhalb der USA gehalten. Auf fast 12,5 Milliarden Pfund wuchsen die Umsätze der 50 größten Kanzleien in London im vergangenen Jahr, wie Daten zeigen, die das Fachmagazin "The Lawyer" gesammelt hat. Seit 2019 sind die Einnahmen der Top-50-Wirtschaftskanzleien um mehr als 25 Prozent gestiegen. "Die Arbeit ist nicht unmittelbar weniger geworden wegen des Brexits, denn jeglicher Ausfall wurde durch die riesigen Summen von Private-Equity-Geld ersetzt, die nach London geflossen sind", sagt Catrin Griffiths, Chefredakteurin von "The Lawyer". "Es gab eine außergewöhnlich hohe Zahl von Deals", fügt sie hinzu. 

Die Londoner City gilt traditionell wegen der Nähe zum großen Finanz- und Börsenplatz und zu den international anerkannten Handels- und Schiedsgerichten als Mekka für Wirtschaftsanwälte. Topverdiener kommen dort bis auf Millionengehälter. An der Spitze der umsatzstärksten Großkanzleien steht Linklaters mit 788 Millionen Pfund Einnahmen im Jahr 2022 in London und global 1,9 Milliarden Pfund Umsatz. Dahinter kommen Allen & Overy (739 Millionen Pfund in London), Clifford Chance (687 Millionen Pfund), Freshfields Bruckhaus Deringer (550 Millionen Pfund), CMS (540 Millionen Pfund) und Slaughter and May (512 Millionen Pfund).

Der "Magic Circle" – ein elitärer Klub

Diese Kanzleien zählen (bis auf CMS) traditionell zum sogenannten Magic Circle, dem elitären Klub der fünf prestigeträchtigsten "Law Firms" in der City. Sie beraten bei den größten und lukrativsten Deals, beschäftigen jeweils eine vierstellige Zahl von Wirtschaftsanwälten und Mitarbeitern. Im Durchschnitt erwirtschaften die Partner der Magic-Circle-Kanzleien, also am Gewinn der Kanzlei beteiligte Anwälte, zwischen drei und fünf Millionen Pfund Bruttoeinnahmen jährlich. Zwar steht London als Finanzplatz seit dem Brexit unter Druck, doch den Anwälten geht es weiter prächtig. "Die mittelfristigen Aussichten für die allgemeine Finanzindustrie sind etwas düsterer", schätzt Griffiths, "aber innerhalb des globalen juristischen Dienstleistungssektors sehen wir, außerhalb der USA, keinen ernsthaften Rivalen zum Standort London."

Die Themse-Metropole zieht damit auch deutsche Anwaltskanzleien an. Vorige Woche hat die Münchner Kanzlei GSK Stockmann ihr neues Büro in der City feierlich eingeweiht. Beim Galadinner in der historischen Law Society Hall anlässlich der Eröffnung sprachen die Botschafter Deutschlands und Luxemburgs. Sie ist nicht die einzige Sozietät, die es mit einer neuen Dependance in Großbritannien versucht. Auch die deutsche Top-5-Kanzlei Gleiss Lutz hat im vergangenen Jahr ein eigenes Londoner Büro eröffnet. Die Wettbewerber Hengeler Mueller, Noerr  und Luther sind schon länger in der britischen Hauptstadt präsent. Mit jeweils einer Handvoll Anwälten plus einigen Referendaren sind sie jedoch im Vergleich zu den britischen und amerikanischen Großkanzleien ganz kleine Fische an der Themse.

Wenige Schritte von der Bank of England

"Wir sind im Londoner Markt nur ein kleiner Mosaikstein, aber das Büro ist für uns ein bedeutender Brückenkopf, um Aufträge für Deutschland zu akquirieren", sagt Florian Becker, Leiter der Londoner Niederlassung von Noerr , die im 40. Stock des Tower 42 liegt, eines
Bürohochhauses ein paar Schritte von der Bank of England entfernt. "Wir bieten internationalen Unternehmen dann die Türe zum deutschen Markt." London sieht Becker als extrem wichtigen Ort für den Informationsaustausch und zum Netzwerken mit anderen europäischen Kanzleien. "Das ist hier einfach unschlagbar." Torsten Fett, Ko-Sprecher der Kanzlei, sieht das britische Büro auch wichtig für die Entwicklung der Mitarbeiter und der Talente. "Das erhöht die Attraktivität als Arbeitgeber, wenn Referendare die Chance sehen, mal nach London zu kommen."

Der Fokus von Noerr liegt auf Fusionen und Übernahmen (M&A), Private-Equity-Deals und Immobiliengeschäften. GSK Stockmann setzt ähnliche Schwerpunkte. Wie die meisten deutschen Kanzleien bietet Noerr nur Rechtsberatung nach deutschem Recht an. Damit sind
sie keine Konkurrenten zu den britischen Kanzleien. Im vergangenen Jahr hat der M&A-Markt deutlich gebremst: Die gestiegenen Zinsen und globalen Konjunkturbremsungen wegen des Ukrainekriegs haben zu Vorsicht geführt, die Zahl der Fusionen und Übernahmen
sank. "Es gibt weniger internationale M&A-Transaktionen, was sich bei den entsprechenden Stakeholdern in London bemerkbar macht", sagt ein Sprecher von GSK. Gleichzeitig sieht die Kanzlei aber mehr Nachfrage in den Bereichen Restrukturierungen und im Bereich
Vermögensverwaltung. "Jüngste Gespräche mit Investoren in London deuten außerdem darauf hin, dass sich der M&A-Markt bereits wieder erholt“, erwartet GSK.

Harter Kampf um die besten Talente

Für Aufsehen sorgen immer wieder die Gehälter in den Top-Wirtschaftskanzleien. Siebenstellige Einkommen der Spitzenanwälte sind die Norm. Die Partner von Allen & Overy hoben ihre Gewinnausschüttung 2022 auf 1,95 Millionen Pfund. Für Berufseinsteiger,
sogenannte "Newly Qualified Solicitors" (NQ), bieten die Kanzleien sechsstellige Jahresgehälter. Der Wettbewerb um die besten Jungjuristen ist extrem. "Es gibt einen wahnsinnigen Kampf um die besten Talente", sagt Noerr-Anwalt Becker. Die höchsten
Summen zahlten die amerikanischen Kanzleien mit ihren "gut gefüllten Kriegskassen". Aufgrund ihrer globalen Strukturen, ihrer langjährigen Dominanz bei Transaktionen, Prozessen und in der Compliance-Beratung können die US-Kanzleien höhere Gehälter
aufrufen als ihre britischen Wettbewerber. Seit Jahren ist es ein Katz-und-Maus-Spiel: Erst legen die amerikanischen Sozietäten vor, dann muss der Rest des Marktes reagieren. Schon 2010 bot erstmals eine Kanzlei in London 100.000 Pfund für NQ-Anwälte. "Das schien
damals eine schockierend hohe Summe", erklärt Griffiths Zeitschrift "The Lawyer". In Deutschland wunderte man sich über die "Mondgehälter". Doch heute ist man viel weiter.

Die Spitze des Marktes für Berufseinsteiger nähert sich nun 180.000 Pfund (gut 200.000 Euro), und viele Firmen bieten nun die einstigen magischen 100.000 Pfund für Junganwälte. "Oft werden die hohen Gehälter als eine Art Schmerzensgeld für sehr lange und stressige
Arbeitszeiten bezeichnet, aber noch mehr ist es das Tempo und der Druck, der auf den Anwälten lastet bei den ganz schwierigen Fällen. Das halten manche nicht lange aus", begründet ein deutscher Jurist die sehr hohen Gehälter.

In Deutschland haben sich die Einstiegsgehälter in der Phase nach der Finanzkrise sprunghaft nach oben entwickelt. Auch hierzulande galten 100.000 Euro bis vor wenigen Jahren lange als Schwelle. Mittlerweile zahlen deutlich mehr als 50 Arbeitgeber, darunter
auch viele Rechtsabteilungen von Unternehmen und auf bestimmte Rechtsgebiete spezialisierte Anwaltsboutiquen, sechsstellige Gehälter im ersten Berufsjahr. Wie in London zahlen US-Kanzleien die Spitzengehälter: Milbank zahlt Junganwälten 180.000 Euro, dann folgt Willkie Farr & Gallagher mit 175.000 Euro. Deutsche Topkanzleien wie Hengeler oder Gleiss Lutz bieten zwischen 140.000 bis 160.000 Euro.

Auch die Magic-Circle-Kanzleien haben Probleme, mit den Gehältern der US-Wettbewerber wie Kirkland & Ellis oder Latham & Watkins mitzuhalten. Diese beiden Kanzleien, mit Hauptsitz in Chicago beziehungsweise Los Angeles, sind gemessen an ihrem Umsatz deutlich
größer als die britischen Topkanzleien. Wie vor wenigen Wochen bekannt wurde, erwirtschaftete Kirkland & Ellis im Geschäftsjahr 2022 einen Umsatz von 6,5 Milliarden Dollar. Beide wachsen überproportional schnell. Ihre Einnahmen in London sind in den vergangenen vier Jahren um 62 Prozent beziehungsweise 75 Prozent gestiegen – dreimal so schnell wie die Umsätze der Magic-Circle-Kanzleien.

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