Arbeiten bei den höchsten deutschen Gerichten: Entscheider in roten Roben

Autor*innen
Angelika Hild
Eine Frau steht auf der obersten Stufe eines Podests. Sie hat ihre Hände auf die Hüften gestützt und ihr langes Cape weht im Wind. Im Hintergrund fliegen Vögel.

Wer Richter am Bundesverfassungsgericht oder dem Bundesgerichtshof ist, hat es in der deutschen Justiz "ganz nach oben" geschafft. Doch bereits eine Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft ist ein Karrieresprungbrett. e-fellow Christine (30) weiß, wie man hinkommt.

Die Wahlstation am Bundesverfassungsgericht absolvieren? Offiziell ist das nicht möglich. e-fellow Christine (30) ist es trotzdem gelungen: Als Referendarin im Team des damaligen Präsidenten Hans-Jürgen Papier brütete sie über Akten und prüfte Grundrechtsverstöße. So unterstützte sie die wissenschaftlichen Mitarbeiter, die wiederum den Richtern unter die Arme greifen. Wissenschaftliche Mitarbeiter gibt es nicht nur beim Bundesverfassungsgericht, sondern auch beim Bundesgerichtshof, dem Bundesverwaltungsgericht, Bundesarbeitsgericht, Bundesfinanzhof und Bundessozialgericht. Die Stellen sind schwer zu bekommen - und daher meist ein Sprungbrett für die Karriere. 

Hiwi deluxe

Die wissenschaftlichen Mitarbeiter sind nicht mit Hiwis an Universitäten zu verwechseln: Es handelt sich durchweg um hochqualifizierte Volljuristen, die bereits einige Jahre Erfahrung als Richter, Staatsanwälte, in Ministerien oder (seltener) einer Universität gesammelt haben. Nach ihrer Einsatzzeit arbeiten sie an ihrem ursprünglichen Arbeitsort weiter. Dort werden sie gewöhnlich auf die nächste Karrierestufe befördert. Nicht wenige wissenschaftliche Mitarbeiter kehren außerdem später an "ihr" Gericht zurück - dann aber in der roten Richterrobe.

e-fellows.net-Stipendiatin und frühere City-Group-Leiterin Christine (30) ist Staatsanwältin an der Staatsanwaltschaft München I. Nebenher promoviert sie über das Thema "Verkaufsfahrten"im Volksmund: Kaffeefahrten. Die Wahlstation ihres Referendariats absolvierte Christine am Bundesverfassungsgericht. Im Interview gibt sie Tipps, wie du dort eine Stelle als Referendar oder wissenschaftliche Hilfskraft ergatterst.

Christine, warum wolltest du für deine Wahlstation zum Bundesverfassungsgericht?

Ich wollte schon immer einmal hinter die Kulissen des Bundesverfassungsgerichts blicken. Schließlich werden hier viele bedeutende Entscheidungen getroffen, und trotzdem weiß fast niemand über die genauen Abläufe Bescheid. Zwar sind die Verhandlungen sehr transparent und der Öffentlichkeit zugänglich. Dennoch wirkt das Bundesverfassungsgericht, was die internen Abläufe angeht, eher "verschwiegen".

Wie komme ich an ein Praktikum oder eine Wahlstation beim Bundesverfassungsgericht?

Leider gibt es beim Bundesverfassungsgericht keinen offiziellen Weg, um dort die Wahlstation oder ein Praktikum zu absolvieren - wie übrigens bei allen sonstigen Bundesgerichten in Deutschland, also zum Beispiel dem Bundesgerichtshof. Ich hatte damals das Glück, als wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl von Professor Hans-Jürgen Papier zu arbeiten, der zu diesem Zeitpunkt Präsident des Bundesverfassungsgerichts war. So kam ich "durch die Hintertür" an meine Wahlstation.
 
Jedem, der sich für ein Praktikum bei einem der Bundesgerichte oder dem Bundesverfassungsgericht interessiert, würde ich raten, sich direkt bei einem der Bundesrichter zu bewerben. Zwar hat man einen großen Vorteil, wenn man diesen Richter bereits kennt, aber ich habe auch Referendare getroffen, die sich "auf gut Glück" beworben hatten.

Was war deine Aufgabe während deiner Wahlstation, und was hat dir besonders gefallen?

Da es offiziell beim Bundesverfassungsgericht keine Referendare gibt, habe ich die wissenschaftlichen Mitarbeiter am Gericht unterstützt und weitgehend dieselbe Arbeit wie diese verrichtet. Das heißt, ich habe eingehende Verfassungsbeschwerden daraufhin geprüft, ob sie gegen Grundrechte verstoßen. Ich war dabei hauptsächlich für Erbrechtsstreitigkeiten zuständig. Besonders gefallen hat mir das wissenschaftliche Arbeiten auf hohem Niveau und zugleich mit praktischem Bezug. Zwar lernt jeder Jurist im Rahmen seines Studiums, wie man Grundrechtsverletzungen prüft, aber in der Praxis kommt dieses Wissen eher selten zur Anwendung.

Aber wenn die wissenschaftlichen Mitarbeiter bereits die Grundrechtsverletzung prüfen, was ist dann die Aufgabe der Richter?

Die Richter fällen die endgültige Entscheidung, ob eine Verfassungsbeschwerde angenommen oder abgelehnt wird, und - im Fall der Annahme - natürlich auch das Urteil. Allerdings ist es bei 6.000 Verfassungsbeschwerden im Jahr für die 16 Richter kaum möglich, die ganze Vorarbeit selbst zu leisten. Deshalb sind jedem Richter vier wissenschaftliche Mitarbeiter zugeordnet. Diese erarbeiten so genannte "Voten", das heißt Vorschläge für die Entscheidung. Die Richter übernehmen diese dann – oder auch nicht.

Und wie werde ich wissenschaftlicher Mitarbeiter?

Die wissenschaftlichen Mitarbeiter werden von der jeweiligen Landesjustizverwaltung für zwei bis drei Jahre abgeordnet. Wer zum Beispiel als Staatsanwalt arbeitet, kann sich für eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter über das Justizministerium des jeweiligen Bundeslandes vorschlagen lassen. Bei der Bewerbung kann man zwar Wünsche für den Einsatzort angeben – diese müssen aber nicht unbedingt berücksichtigt werden. Es ist also möglich, dass ich gerne im Bundesverfassungsgericht arbeiten würde, aber dann ins Bundesjustizministerium beordert werde.
 
Den offiziellen Weg kann man hier umgehen, indem man sich ebenfalls direkt bei einem der Richter bewirbt. Dieser kann einen dann vom jeweiligen Justizministerium anfordern, wenn der nächste wissenschaftliche Mitarbeiter turnusgemäß ausscheidet.

Wie stelle ich es an, später selbst Bundesverfassungsrichter zu werden?

(lacht) Das wüsste ich auch gerne. Dafür sollte man zunächst einmal mindestens 40 Jahre alt sein – das ist das Mindestalter. Zuvor würde ich eine akademische Laufbahn einschlagen, möglichst im Bereich des Öffentliches Rechts. Darum geht es schließlich am Bundesverfassungsgericht. Der Großteil der Richter, die von Bundestag und Bundesrat über einen Wahlausschuss gewählt werden, sind Professoren. Politisches Engagement ist dagegen eher kontraproduktiv – die Richter sollen ja unabhängig sein.

Kannst du dir vorstellen, selbst irgendwann ans Bundesverfassungsgericht zurückzukehren?

Die Arbeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin reizt mich auf jeden Fall. Allerdings würde ich eine Stelle am Bundesgerichtshof bevorzugen. Das Strafrecht liegt mir aufgrund meiner täglichen Arbeit einfach mehr.

Was sind die höchsten deutschen Gerichte?

In Deutschland sind insgesamt fünf Bundesgerichte für verschiedene Themen zuständig: Bundesgerichtshof, Bundesverwaltungsgericht, Bundesarbeitsgericht, Bundesfinanzhof und Bundessozialgericht. Das Bundesverfassungsgericht ist den Bundesgerichten nicht über-, sondern nebengeordnet. Es wacht über die Einhaltung der Verfassung - zum Beispiel der Grundrechte. Damit ist es die letzte Instanz für Rechtsstreitigkeiten oder Gesetze, bei denen die Verfassung verletzt sein könnte. Für alle anderen Gerichtsverfahren endet der Rechtsweg bei den jeweiligen Bundesgerichten.

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