Mit ehrlicher Präsentation junge Nachwuchskräfte gewinnen

Autor*innen
Rüdiger Maas
Vier Menschen analysieren und diskutieren miteinander [© master1305 – stock.adobe.com]

Unternehmen umgarnen wie Bittsteller die wenigen jungen Bewerberinnen und Bewerber. Rüdiger Maas empfiehlt den Arbeitgebern, keine Versprechen zu machen, die sie nicht halten können.

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Die Generation der heutigen Berufseinsteiger ist anders, so die Aussage vieler: Personaler schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, wenn Bewerbungen auf ihren Tisch flattern, die gespickt sind mit Rechtschreibfehlern und Forderungen. Weil junge Mitarbeiter schwer zu bekommen sind, werden ganze Unternehmenszweige umstrukturiert, Social-Media-Kampagnen gefahren und altbewährte Pfade verlassen, nur um es den Berufseinsteigern recht zu machen. Doch ist das ein bewährter Weg?

Tatsächlich sind die Geburtenjahrgänge 1995 bis 2010, populärwissenschaftlich gern als Generation Z bezeichnet, die kleinste Alterskohorte seit dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland. Ihr gehören circa 4,6 Millionen Menschen weniger an als ihrer Elterngeneration. Sie treffen auf einen Arbeitsmarkt, der viele freie Stellen bietet. Denn die größte Alterskohorte, die sogenannte Generation Babyboomer, verlässt den Arbeitsmarkt in Richtung Rente.

Das bringt die Arbeitgebenden in die Position der Bittsteller, denn sie möchten die wenigen Jungen für sich gewinnen. Also versuchen sie, oft hemdsärmelig, die wenigen mit dem maximalen Angebot anzulocken. Allerdings bekommen Unternehmen dann auch nur die, denen all die Peripherie rund um die Arbeit wichtig ist. Nicht der Job an sich, der den größten Teil des Tages ausmacht, sondern das Firmen-Tablet, der Zuschuss zum Fitnesskurs oder die Mitarbeiterrabatte stehen dann im Vordergrund.

61 Prozent der heutigen Nachwuchskräfte geben an, dass die Arbeitsrealität anders ist als die Erwartungen, die das Bewerbungsgespräch erzeugte. Bewerbende, denen die Extras der Arbeit so wichtig waren, merken nach einiger Zeit, was der Job wirklich fordert. All die Vorzüge bringen nichts, wenn die Arbeit, die den größten Teil der Zeit einnimmt, nicht passt. Wenn sich das Unternehmen so präsentiert hätte, wie es wirklich ist – was es geben kann und auch was die Stelle wirklich fordert –, hätte das Unternehmen eher einen passenden Bewerber gefunden. Und der Berufseinsteiger hätte keinen Realitätsschock erlitten.

Falsches Anschreiben, die Unterschrift unter dem Anschreiben fehlt und neun Rechtschreibfehler – trotzdem bekommt der Bewerber den Job. Der Grund? Dem Unternehmen mangelt es aufgrund des demografischen Wandels an Alternativen. 2023 gab es in Deutschland etwa 514.000 Ausbildungsstellen neu zu besetzen, aber nur etwa 392.000 Bewerbende. Zwar gibt es in Deutschland große regionale Unterschiede, beispielsweise gibt es in Ballungsgebieten mehr Bewerbende, doch im Schnitt kamen deutschlandweit 76 Bewerbende auf 100 Ausbildungsstellen (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2023).

Um im "War for Talent" nicht leer auszugehen, kommt das Unternehmen dem Bewerber entgegen und drückt das ein oder andere Auge zu. Es bekommt nicht wie gewöhnlich die gut geeigneten, die zu ihm passen, sondern auch die anderen. Wenn es aber dann mit einer Neubesetzung nicht klappt, kommt das für die Unternehmen teuer zu stehen. Denn Ausbildungsabbrecher oder ausgefallene Arbeitskräfte sind teurer, als die Stelle nicht zu besetzen und auf den passenden Bewerber zu warten.

Zwei Drittel der heutigen Nachwuchskräfte bewerten laut der Generation-Thinking-Studie des Instituts für Generationenforschung ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt als sehr gut. Damit haben sie auch recht: Bewerber haben heutzutage die Ausbildungsstelle bereits in der Tasche, bevor sie das Personalbüro betreten. Das bietet Berufseinsteigern einerseits Sicherheit, andererseits senkt es die eigenen Bemühungen. Sie sind wie Kunden, und die sind bekanntlich Könige.

Dennoch kann man den Jungen dabei bei bestem Willen keinen Vorwurf machen. Schön blöd wären sie, wenn sie sich für einen Ausbildungsplatz mit weniger Incentives, Vorteilen oder längeren Arbeitszeiten entschieden hätten. Die Jungen verhalten sich ihrer Umgebung entsprechend normal, jedoch ihre Vorgesetzten, Personaler und Unternehmer versuchen, sich wie eine behäbige Knetmasse anzupassen – und nehmen dadurch keine bessere Form an.

Den Arbeitgebenden sei empfohlen: Es hat keinen Sinn, mit Versprechen zu locken, die man nicht einhalten kann. Besser ist es – und auf lange Sicht auch ökonomischer –, sich ehrlich zu präsentieren, nämlich so, wie das Unternehmen wirklich ist. Diejenigen, die transparent sind und zeigen, was sie bieten können und was nicht, werden die Bewerbenden bekommen, die einfach besser zu ihnen passen. Zugleich schaffen die Unternehmen damit auch Vorhersagbarkeit bei den Bewerbenden – diese wissen dann ganz genau, was sie erwartet. Und das ist das Einzige, was die jungen Menschen im Stellenüberangebot nicht bekommen: Orientierung und Strukturen.

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