Erfahrungsbericht – LL.M. in Berlin und Schanghai: Das Recht im Reich der Mitte

Autor*innen
Katrin Verena Hesselbarth
Person wirft einen Papierflieger über eine Erdkugel. Sie hält eine am Flieger befestigte Linie noch in der Hand.

Von Berlin-Mitte ins Reich der Mitte: Katrin Verena Hesselbarth absolvierte einen Doppel-LL.M. an der Humboldt-Universität und der Tongji Universität in Schanghai.

Studiert man Rechtswissenschaften in Deutschland, lernt man von Beginn an ein Rechtssystem kennen, das sich im Rahmen einer langen Rechtstradition kontinuierlich fortentwickelt. Wie ist es aber, in einem Land zu studieren, das quasi über Nacht das Ende der Planwirtschaft einläutete? Welche Bedeutung hat dies für ein Rechtssystem? Noch dazu eines, das von der Diktatur des Volkes ausgeht?

Unser Karriereratgeber Der LL.M. 2021 [Quelle: e-fellows.net]

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Nachdem ich die Erste Juristische Prüfung erfolgreich bestanden hatte, entschied ich mich für das Doppel-LL.M.-Programm "Rechtsvergleichende Studien zum deutschen, europäischen und chinesischen Recht" der Humboldt-Universität zu Berlin und der Tongji Universität in Schanghai. Zu diesem Zeitpunkt war ich nicht nur erfüllt von Neugierde auf ein fremdes Land, sondern auch akademisch motiviert und erwartungsvoll, während des LL.M.-Studiums neue Ideen und Perspektiven zu entwickeln. Ich wählte den Zeitpunkt vor dem Referendariat, weil ich der Überzeugung bin, dass man das eigene Recht besser verstehen lernt, wenn man das eines anderen Staates kennengelernt hat. Im Nachhinein kann ich bestätigen, dass ich von den Erfahrungen in China noch lange zehren werde und dass die Studienzeit mein allgemeines Rechtsempfinden sensibilisiert hat, was sich sicher auch positiv auf das Referendariat auswirken wird.

Für China als Studienland habe ich mich entschieden, weil ich Recht in einem Land studieren wollte, das sich sehr stark im Wandel befindet. Erleichtert wurde das Studium durch die immer wieder zu findende Rezeption deutschen Rechts in chinesischen Gesetzen. Inhaltlich habe ich versucht, in einem Jahr einen Überblick über das chinesische Recht zu erlangen, indem ich die (englischsprachigen) Veranstaltungen breit ausgewählt habe, vom Staatsorganisationsrecht bis zum allgemeinen Zivilrecht Chinas. Vertiefte Veranstaltungen habe ich im Kartell- und Immaterialgüterrecht besucht.

Studienfinanzierung und Lebenshaltungskosten

Weil mein LL.M.-Programm ein Doppelmasterstudiengang der Humboldt-Universität zu Berlin und der Tongji Universität in Schanghai ist, sind für das gesamte Programm nur die Semesterbeiträge der Humboldt-Universität zu Berlin angefallen, und diese wurden sogar während des Studiums an der Tongji Universität erlassen. Somit musste ich lediglich die allgemeinen Lebenshaltungskosten in Schanghai aufbringen. Im Rahmen des LL.M.- Programms besteht überdies die Chance auf ein DAAD-Stipendium, um das man sich gleichzeitig mit der Bewerbung für das Programm bewirbt. Als glückliche Empfängerin erhielt ich nicht nur eine Reisekostenpauschale in Höhe von rund 800 Euro, sondern auch ein monatliches Stipendium in Höhe von etwa 830 Euro für die Dauer meines Aufenthalts in China. Dieses Geld reichte aus, um in Schanghai in einer WG zu leben.

Rückblickende Bewertung

Besonders gut hat mir während des LL.M.-Studiums gefallen, dass chinesische Studierende an der Tongji Universität sehr offen und freundlich auf Deutsche zugehen und viele interessante und spannende Gespräche und Diskussionen zustande kamen – fachbezogen und privat. Außerdem erinnere ich mich an viele lustige Stunden im Chinesisch-Sprachkurs, den ich hauptsächlich mit Studierenden aus afrikanischen Ländern besuchte und so auch Studierende aus aller Welt kennenlernen konnte.

Aber natürlich gab es auch Schattenseiten. Jeder, der ein LL.M.-Studium vor allem aufnehmen möchte, um "Legal English" zu erlernen, sollte sich lieber eine Uni im englischsprachigen Ausland suchen, da in China das Erlernen der chinesischen Sprache im Vordergrund steht. Genannt werden muss auch die Internetzensur Chinas, die die wissenschaftliche Recherche sehr erschwert. Bemerkenswert ist auch der immer wieder zu spürende politische Einfluss auf die Wissenschaft. Getrübt hat die Erfahrung zudem die Luftverschmutzung, die entgegen der öffentlichen Wahrnehmung nicht nur in Peking ein gravierendes Gesundheitsproblem darstellt.

Persönlicher Gewinn und Empfehlung

An erster Stelle des persönlichen Gewinns möchte ich die Freundschaften nennen, die ich in diesem Jahr mit Chinesinnen geschlossen habe. Daneben habe ich chinesische Sprachkenntnisse erworben und konnte von außen auf Europa und Deutschland blicken. Außerdem konnte ich ein Praktikum im Schanghaier Büro einer deutschen Wirtschaftskanzlei absolvieren, das wirklich einzigartig war. Gegenstand des Praktikums war die Recherche zum deutschen Recht für einen chinesischen Mandanten. So konnte ich lernen, was aus chinesischer Sicht am deutschen Recht befremdlich ist und überdies spannende Einblicke in den Wirtschaftsverkehr zwischen deutschen und chinesischen Unternehmen erhalten.

Ich möchte das Doppel-LL.M.-Programm denjenigen empfehlen, die akademisches Interesse am Rechtssystem Chinas haben und sehr gerne Land und Leute kennenlernen möchten. Der akademische Austausch mit Deutschland ist für China von enormer Bedeutung und auch uns Deutschen tut ein Perspektivenwechsel gut.

Bewertung: 4/5 (4 Stimmen)

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