Abenteuer Ausland: Erasmus-Schlamassel

Autor*innen
e-fellows.net Redaktion
Frau mit Aktentasche fliegt in Superman-Pose über eine Weltkugel.

Ein Erasmus, das ist lustig, ein Erasmus, das ist schön. Aber leider kann im Ausland auch was in die Hose geh'n! Fünf Erasmus-Abenteuer, die besser niemals stattgefunden hätten.

Eine griechische Spezialität

Ich hätte innehalten sollen, als mein griechischer Mitbewohner anbot, auf der Einweihungsparty unserer Erasmus-WG in Leicester ganz allein für Speis und Trank zu sorgen. Stattdessen erklärte ich mir seine Initiative mit mediterraner Gastgeberehre und beschloss, auf diese sei ja wohl noch immer Verlass gewesen. Den Nachmittag des großen Tages verbrachte ich im Pub, von Kataifi, Souvlaki und Dolmadakia träumend – und nicht ahnend, dass Marios von Kochen so viel verstand wie Conan der Barbar.

Schon im Treppenhaus schlug mir eine Mischung aus Flatulenz und Höllenfeuer in die Nase. Ursprung war ein gulaschkanonengroßer Vulkan aus scharf vor sich hin zischendem und noch schärfer vor sich hin stinkendem Kohl, flankiert von einem Scheiterhaufen gepellter Eier – beides zu finden im innersten Höllenzirkel, unserer Küche. Dass in unserer Wohnung weder eine Schwefelbombe explodiert war noch eine achtköpfige Iltisfamilie vor sich hin weste, erfuhren an diesem Abend nur die wenigsten Gäste. Wer nicht schon am Treppenabsatz kehrtmachte, kapitulierte spätestens, als klar wurde, dass der Ursprung allen Übels gleichzeitig das Ziel der Einladung war. Auch diesem Anfang mag ein Zauber innegewohnt haben. Aber es war ein fauler.

Vertrag ist Vertrag!

Irgendwann in den ersten Tagen meiner Granada-Erasmus-WG hatte ich es für eine gute Idee gehalten, zu erwähnen, dass ich aus der Heimat Wolfgang Schäubles stammte. Das Bild des gestrengen Finanzministers aber machte auf meine spanische Mitbewohnerin Carla ungeahnt großen Eindruck. Ihren Wunsch, mit mir zu schlafen, unterbreitete sie mir nämlich in Form eines akkuraten schriftlichen Angebots, das jedem Buchhalter vor Stolz die Brust hätte schwellen lassen.

Bei mir jedoch schwoll gar nichts. Zum einen, da die detaillierte Leistungsaufschlüsselung kaum mehr etwas der Fantasie überließ, zum anderen, da ich mir lebhaft die Begeisterung meiner Freundin zuhause vorstellen konnte. Sehr zu meinem Unglück aber war die Spanierin Carla mit zu viel deutscher Gründlichkeit gesegnet, um ihr einmal unterbreitetes Angebot bloß aufgrund einer ausbleibenden Auftragsbestätigung zurückzuziehen. Offengelassene Zimmertüren, verrutschte T-Shirts und vergessene Schlüpfer gewährten mir in den nächsten Tagen so ungewollt tiefe Einblicke in die spanische Damenwelt, dass ich die Flucht ergriff. Für den Rest meines Erasmus-Aufenthalts ward ich in meiner WG nicht mehr viel gesehen – erwischte jedoch an einem der letzten Tage, spätnachts heimkommend, meinen französischen Mitbewohner selig ins Leere starrend und nackt, wie Gott ihn schuf, in der Küche eine Gauloise danach rauchen. 

"Na klar" auf Französisch

35 möblierte Quadratmeter beste Innenstadtlage zum Preis einer Münchner Besenkammer: Dieses Wohnungsinserat versprach alles, wovon Erasmus-Bayern in Toulouse träumen. Was die Annonce nicht erwähnte, waren drei Vormieter, vier Katzen und deren gesammelte Hinterlassenschaften. Doch schließlich würde die Wohnung vor der Übergabe ja noch gereinigt. "Mais oui bien sûr, Monsieur", versicherte der Vermieter.

Am Tag der Übergabe stank und klebte die Wohnung, als hätten meine Vormieter seit der Besichtigung einen gut besuchten 24-Stunden-Asia-Imbiss mit angeschlossener Pension für rollige Kater eröffnet. Nach drei Stunden Schrubben bei südfranzösischen Temperaturen ahnte ich, dass günstiges zentrales Wohnen seinen Preis hatte, wenn auch nicht in Euro. Nach drei Tagen und drei Kubikmetern herausgerissenen Tapeten und zerlegten Möbeln wusste ich es.

Genau in dem Moment, als ich die letzte Fuhre Müll ins Auto getetrist hatte, bog die Toulouser Müllabfuhr um die Ecke – gewiss ein Wink des Himmels. Ob sie denn eventuell auch meinen Müll mitnehmen könnten, fragte ich. "Mais oui bien sûr, Monsieur!". Ich solle einfach alles ausladen.

Keine fünfzehn Minuten später klingelte es Sturm in meinem neuen Reich. Die Polizei, gerufen von der Müllabfuhr, wollte wissen, warum ich drei Zentner Unrat in der Toulouser Innenstadt entsorgte.  Nur der makellose Glanz meiner Wohnung – frisch tapeziert, leergeräumt und grundgereinigt – und die schiere Verzweiflung in meinen Augen ließen die Polizisten von einem Bußgeld absehen. Ende gut, alles gut. Aber auf "Mais oui bien sûr, Monsieur" pfeife ich seitdem.

No al telefonino!

WG-Suche in Padua? Das sei ganz einfach, versicherte mir meine Erasmus-Betreuerin bei der Ankunft. Ich müsse "einfach nur kurz" die Vermieter anrufen. Das hatte ich befürchtet – schließlich ist Telefonieren der Nationalsport der Italiener. Unpraktisch, wo ich doch eine ausgewachsene Telefonphobie hegte. Noch unpraktischer, da meine Italienischkenntnisse nach drei halbherzig bestandenen Sprachkursen eher bescheiden und mein Selbstvertrauen darin noch bescheidener waren. Es dauerte Wochen, bis ich überhaupt den Mut für einen Anruf zusammenkratzte.

Die ersten drei Telefonate beendete ich, ohne ein Wort gesagt zu haben. Zu schnell prasselten die Worte auf mich ein, zu langsam zerlegte mein Hirn den klangvollen Schwall in verständliche Einzelteile. Beim vierten Mal erschlossen sich mir aus drei Minuten ganze drei Sekunden – eine Adresse! Braucht man auf Wohnungssuche mehr? Ich brüllte schnell eine Uhrzeit ins Handy, ein "Grazie!" hinterher, und legte auf. Der Troll aus Harry Potter hätte nicht ungelenker telefoniert.

Weitere Telefonate blieben mir zum Glück erspart: Das WG-Zimmer war toll und meine Mitbewohner fanden meine Vorgeschichte weniger trollig denn drollig. Das Telefonino aber treibt mir seitdem erst Recht den Angstschweiß auf die Stirn.

Die Sitzdusche

Meine Erasmus-Mansarde in der Straßburger Altstadt stammte aus der Zeit, in der Dachböden weder aus schierer Platznot zu Wohnzwecken ausgebaut noch Menschen 1,95 Meter groß wurden. Dass es senkrechte Stellflächen nur an den innenliegenden Wänden gab, schien mir in meiner ersten Euphorie weniger als ergonomische Zumutung denn als Gipfel der Gemütlichkeit.

Was ich bei der Besichtigung nicht bedacht hatte: Auch die Badewanne befand sich in einer Dachschräge. Und zwar längs! Aufrechtes Duschen gehörte damit der Vergangenheit an. Ich konnte entweder täglich ein Bad nehmen, was jedoch die gesamte Füllmenge des nur nachts heizenden Warmwasserboilers aufbrauchte. Oder ich pflanzte mich mit ausgestreckten Beinen in die trockene Wanne und führte mit einer Hand die Brause über meinen Körper, während die andere zumindest die Stellen einseifte, die ich in dieser Haltung erreichen konnte. Um die ungeflieste Schräge über mir zu schonen, musste ich wahlweise flunderflach nach hinten glitschen – was aber die Anzahl manuell einseifbarer Körperteile drastisch reduzierte – oder aber eine Haltung einnehmen, die ins Straßburger Studenten-Yoga als "Der krepierende Rundrücken" eingegangen ist.

Aus dem Elsass mitgenommen habe ich nach sechs Monaten nicht bloß eine figurtechnisch bedenkliche Vorliebe für Pökelfleisch und Stinkekäse, sondern auch eine irreversible Aversion gegen Badewannen und einen leichten Buckel.

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