Erfahrungsbericht (Accenture): Eine Lektion in indischer Stresstoleranz

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Erfahrungsberichte von e-fellows
Ein Megafon aus dem bunte gezackte und gerade Linien und Ausrufezeichen kommen.

Gerade in den Job gestartet und schon ab ins Ausland – warum nicht? Zu sechs Monaten Indien konnte Accenture-Berater Tim einfach nicht Nein sagen. Bereut hat er seinen Aufenthalt nicht – trotz Kastendenkens, Lebensmittelvergiftung und der ungewohnten Gelassenheit seiner Mitarbeiter.

Tim ist Consultant bei Accenture. Sechs Monate lang unterstützte er sein aktuelles Projekt von Indien aus.

Nach meinem Bachelor-Studium der Wirtschaftspsychologie an der SRH Hochschule Berlin absolvierte ich Anfang 2015 bei Accenture das zweimonatige Jump Start Programm im Bereich Project Control Services (PCS) - besser bekannt als Projektmanagement. Danach ging es direkt aufs erste Projekt. Hier bin ich hauptsächlich in Financial Management und Leadership Support tätig: Das heißt, ich bereite verschiedenste Financial Key Figures auf, plane gemeinsam mit den Kollegen vom Client Financial Management unsere Umsätze, überprüfe den Wareneingang beim Kunden, manage die Rechnungs- und Gutschriftenerstellung und unterstütze die Projektleitung bei etwaigen Sonderaufgaben.

Mein Projekt aus indischer Sicht

Schon während meiner Zeit im Jump Start Programm fragte mich die Projektleitung, ob ich Interesse hätte, für sechs Monate nach Indien zu gehen. Das Ganze würde im Rahmen des Accenture International Work Experience Program (IWEP) stattfinden – ein Programm, welches Neueinsteigern bei Accenture ermöglicht, in einem unserer Offshore Delivery Center in Indien oder auf den Philippinen den Kollegen über die Schulter zu schauen und neue Prozesse zu implementieren beziehungsweise bestehende Prozesse zu verbessern. 

Da ich auch während meiner Schul- und Studienzeit gerne die Möglichkeit genutzt hatte, Erfahrungen im Ausland zu sammeln, nahm ich ohne Zögern diese einmalige Chance wahr und stürzte mich ins Abenteuer.

Kulturschock in Maßen

Nach einer Einarbeitungsphase von etwa drei Monaten auf dem Projekt in Deutschland zog ich im August 2015 nach Pune. Pune liegt rund 120 Kilometer südöstlich von Mumbai und ist die neuntgrößte Stadt Indiens. Der befürchtete Kulturschock hielt sich für mich zum Glück in Grenzen, da ich mich gut auf den Aufenthalt vorbereitet und meine Erwartungen dementsprechend angepasst hatte. Zudem hatte ich während meines Studiums zum Thema "Interkulturelle Kommunikation und Diversität in Teams" geforscht und vor allem viel über die indische Kultur und insbesondere den Hinduismus gelesen, um die gesellschaftlichen Strukturen Indiens mit all seinen sozialen Subgruppen zu verstehen. 

Offenheit für Erfahrungen und Extraversion sind wichtige Persönlichkeitsmerkmale, um sich auf einen solchen, längeren Aufenthalt in Indien vorzubereiten, denn das gesamte Handeln der Inder ist vom Hinduismus und den darin verwurzelten Werten beeinflusst. Allerdings gab es natürlich einige Dinge, auf die mich auch der beste Reiseführer und die beste Vorlesung an der Hochschule nicht vorbereiten konnten. Besonders in der Arbeitswelt sind mir zwei Dinge aufgefallen: das ausgeprägte Hierarchiedenken und die Stresstoleranz der Inder.

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Die Kasten im Kopf

Obwohl das Kastenwesen offiziell abgeschafft wurde, sind gewisse Strukturen nach wie vor sichtbar, wenn auch nur subtil. So ist es in Indien unüblich, seinem Vorgesetzten ungebeten einen Vorschlag zu machen oder ihn gar zu verbessern. Diese strenge Struktur hat mir anfangs das Zusammenarbeiten im Team immens erschwert, da meine direkten Arbeitskollegen einige Level über mir standen. Vorschläge, Ideen oder Anmerkungen meinerseits wurden entweder ignoriert oder kommentarlos abgelehnt – eine Vorgehensweise, die mich sehr vor den Kopf gestoßen hat, da die Hierarchien bei Accenture Germany sehr flach sind und eine Kultur gefördert wird, in der sich jeder einbringen darf, unabhängig von Level und Erfahrung. 

Aber gut: andere Länder, andere Sitten. Ich ließ mich davon nicht beirren, sondern lieferte weiter Input, und mit der Zeit wurde meine Kompetenz geschätzt. Wer jetzt aber denkt, dass in Indien allgemeine Unzufriedenheit bezüglich des zwar offiziell verbotenen, aber dennoch präsenten Kastenwesens herrscht, irrt sich. Der Grundgedanke ist: Wer genügend positives Karma in seinem jetzigen Leben sammelt, wird im nächsten Leben in einer höheren Kaste geboren und hat damit bessere Chancen auf einen Aufstieg in Gesellschaft und Job.

Nicht ohne meinen Nachmittags-Chai

Ein großer Unterschied zu Deutschland ist auch die Stresstoleranz und Gelassenheit, mit welcher Inder unter Druck arbeiten. Auch wenn in Indien in der Regel neun Stunden Arbeitszeit pro Tag vertraglich vorgegeben sind und man somit inklusive Reisezeit fast den ganzen Tag unterwegs ist, wird Stress nur selten verbreitet. Selbst in kritischen Projektphasen wird keine Mahlzeit oder der Nachmittags-Chai ausgelassen. 

Schon der Organisationsanthropologe Geert Hofstede hatte beschrieben, dass die indische Kultur eher langzeitorientiert ist und temporäre Stresssituationen Inder nicht aus der Ruhe bringen. Es zählt eher das Gesamtgeschehen, und durch Stolpersteine und Hürden gerät dieser holistische Ansatz nicht ins Wanken. Obwohl diese Gelassenheit für mich anfangs eine Umstellung war, finde ich rückblickend, dass sich der ein oder andere Workaholic hierzulande davon eine Scheibe abschneiden könnte.

Riskante kulinarische Entdeckungen

Neben den 45 Stunden Arbeit pro Woche hatte ich durch die freien Wochenenden und die vielen gesetzlichen Feiertage noch genügend Zeit, durch Indien zu reisen. So bin ich mit der Rikscha durch Old Delhi gefahren, habe bei Sonnenaufgang das Taj Mahal bewundert, oder bin in Nepal (nicht ganz Indien, aber trotzdem subkontinental) durch das Himalaya-Gebirge geklettert. Ein besonderes Highlight war Silvester in Kerala, ein Staat im Süden Indiens mit einer atemberaubenden Natur: von Teeplantagen in den Bergen über Backwaters, die mit dem privaten Hausboot erkundet werden können, bis hin zu weißen Traumstränden. 

Wer sich jetzt noch fragt, wie ich mit dem Essen in Indien zurechtgekommen bin: Ich hatte zweimal eine Lebensmittelvergiftung, inklusive achttägigem Krankenhausaufenthalt – was mich jedoch nicht entmutigt hat, mich durch die vielseitige Küche zu probieren und einige kulinarische Leckerbissen zu entdecken.

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